König Ludwig I. und Schleißheim

Beim Tod von Kurfürst Max Emanuel war Schleißheim immer noch Baustelle. Vor allem aber wurde es in den Folgejahren immer mehr zum großen Fragezeichen in der Landschaft. Was sollte man mit diesem Monument gescheiterter Großmachtambition anfangen? Spätestens mit dem vergeblichen Anlauf von Max Emanuels Nachfolger Karl Albrecht auf die Kaiserkrone des Römischen Reiches war den Wittelsbachern dieser Zahn dauerhaft gezogen. Und als nach Max Emanuels Enkel Max III. Joseph die bayerische Linie der Wittelsbacher erlosch und die Pfälzer Linie in München regierte, verschwand Schleißheim vollends aus dem Alltags- und Festgeschehen des Münchner Hofes.

Die wirkmächtigste Brücke zwischen dem Glanz der Erstellung und der musealen Ansicht unserer Tage schlug König Ludwig I. Mit einem Bauprogramm wie kein anderer bayerischer Herrscher hat Ludwig den Münchner Königsplatz geschaffen, die Befreiungshalle bei Kelheim, die Walhalla in Donaustauf, das Pompejanum in Aschaffenburg und mit Ludwigstraße, Siegestor, Ruhmeshalle und Feldherrnhalle das Gesicht Münchens entscheidend geprägt. Eine Fußnote in diesen gebauten Erinnerungen an den Monarchen, der vor 150 Jahren starb, sind auch seine Aktivitäten in Schleißheim. Kein Herrscher hat nach Max Emanuels Tod mehr für Schleißheim getan.

Eine entscheidende Voraussetzung für Ludwigs Engagement in der von seinen Vorgängern vernachlässigten Anlage dürfte sein Sinn für die Historie sein. Sein Vater und die Kurfürsten vor ihm maßen Schleißheim ausschließlich an seinem praktischen gegenwärtigen Nutzwert, was zu ihrem Desinteresse führen musste. Ludwig hingegen besaß nun wieder das Gespür dafür, was schon Max Emanuel geleitet hatte, als er Schleißheim 1703 in einem Brief an seine Ehefrau „une memoire en batiment pour ma posterité“ nannte, „eine gebaute Erinnerung für meine Nachwelt“. 

 

Die große Leidenschaft Ludwigs galt der klassischen Antike, in derem Bilde er seine Münchner und bayerischen Bauwerke formen ließ, aber darüber hinaus auch der eigenen Geschichte: Er nahm historische Amtstitel aus dem mittelalterlichen Reich wieder an, baute die einstige Feste Ingolstadt als Festung wieder auf, führte erst jüngst modernisierte Verwaltungsbezeichnungen wieder auf historische Wurzeln zurück und erließ ein Edikt, das als erstes Denkmalschutzgesetz des Landes gelten darf.

 

1814 hatte der Kronprinz Ludwig den im Fürstentum Wolfenbüttel geborenen Architekten und Maler Leo von Klenze kennengelernt, 1808 bis 1813 Hofarchitekt von König Jérome Bonaparte in Kassel. Klenze zog nach München, wo ihn Ludwigs Vater, König Max I. Joseph, 1816 zum Hofarchitekten berief. An Ludwigs ersten Bauprojekten, Glyptothek und Walhalla, beteiligte er sich mit Entwürfen. 1818 zum Hofbauintendanten ernannt, legte Klenze auch ein Programm „Wiederherstellung Schleißheims“ auf, das nach Einschätzung von Museumsdirektorin Dr. Brigitte Langer aus der Staatlichen Schlösserverwaltung mit einiger Sicherheit im Einvernehmen mit dem Kronprinzen entwickelt wurde.

Erste konkrete Entwürfe legte Klenze 1819 vor und im Juli 1820 schrieb Ludwig an Klenze, was als populärwissenschaftliche Zusammenfassung des Programms gelten kann: „Das freut mich recht, daß Sie Schleißheim’s bedacht sind. Am Dach angefangen, am Haupte und wenn für die Erhaltung gesorgt ist, dann an die Treppe. So viel ich weiß ist glücklicher Weise gerade das Schnörkelzeug nicht gemacht in Marmor, schönere Verzierungen jedoch in Einklang mit dem Ganzen seyende müssen verfertigt werden.“ 1821 wurde mit Bauarbeiten begonnen.

Neben Sanierungsarbeiten – „für die Erhaltung“ – sollte demnach vor allem die Fassade umgestaltet werden. Eine Purifizierung – weg mit dem „Schnörkelzeug“ – entsprach dem Zeitgeist des neuen klassizistischen Stils, wurde von Klenze aber zusätzlich historisch unterfüttert. Eine Vereinfachung nähere sich den ursprünglichsten Plänen Henrico Zuccallis an, argumentierte er, und führe die späteren Veränderungen durch Joseph Effner wieder zurück.

So wurden nun der große Dreiecksgiebel über dem Mittelbau und die Segmentgiebel über den Eckrisaliten ebenso entfernt wie die barocken Dachgauben. Die zuvor ovalen Fenster im Zwischengeschoss wurden zu Rundfenstern umgestaltet. Teile des Dekors wie die Stuckrosetten in der Gebälkzone und die Pilaster im Erdgeschoss wurden abgeschlagen oder durch klassizistische Elemente – „schönere Verzierungen“ – ersetzt. Der Bildhauer Anton Schwanthaler stellte 18 Pilaster und eine Fülle von Konsolen für die neue Fassade her.
Die Nuancen der Klenzeschen Umgestaltung sind weitestgehend wieder verschwunden. Nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges entschied sich die Staatliche Schlösserverwaltung bei der grundlegenden Restaurierung 1959 bis 1962, nicht die von Klenze modellierte Fassade von 1821 wiederherzustellen, sondern die spätbarocke Dekoration Joseph Effners von 1719 zu rekonstruieren, schildert Brigitte Langer. Lediglich der seinerzeitige Mittelgiebel blieb verloren.

Nach dem Tod seines Vaters wurde Ludwig 1825 bayerischer König, was seine Bauvisionen mit neuer Machtfülle unterfütterte. Es begann nun die planmäßige Konstruktion der Münchner Ludwigstraße, für die Feste Ingolstadt wurde der Grundstein gelegt, Pinakothek und Antikensammlung vorgeplant und vor allem die Münchner Residenz erweitert. Erst 1837 griff der König den Masterplan für Schleißheim wieder auf. Nach „Dach“ und „Erhaltung“ stand gemäß seiner damaligen Briefskizze „dann die Treppe“ noch an.
Heute gilt das Treppenhaus des Schlosses als zentrales Beispiel barocker Repräsentationspracht. Doch worauf auch immer Max Emanuel sein Erscheinen inszenierte – auf diesem Treppenbauwerk nicht. Das Schlüsselelement der Konstruktion im Hauptgebäude war über hundert Jahre unvollendet, Max Emanuel und Karl Albrecht stiegen in ihrem Prachtschloss die Treppe auf einem hölzernen Provisorium, dessen Bemalung den Anschein von Marmor erwecken sollte.

Für die „zu Schleißhaimb von Marmor zuerrichten seyente große Hauptstieg“ legte Co-Baumeister Joseph Effner 1719 eine „underthenigste Explication“ vor und danach wurde ein Modell der „großen Stiegen“ gefertigt. Johann Baptist Zimmermann wurde 1720 beauftragt, die „neu Angefangene Haubststieg nach Weisung Und modell mit aller Stokkothor Arbeith auf das fleissigst auß zu ziehren“.

Die Stuckarbeiten Zimmermanns mit der Abbildung realer und mythischer Kriegstrophäen des Feldherrn Max Emanuel und das Deckenfresko von Cosmas Damian Asam mit der römischen Göttin Venus und ihrem irdischen Sohn Aeneas waren bereits gefertigt, als es zur Ausführung der Treppe zu einer Kontroverse zwischen Effner und dem ursprünglichen Schlossarchitekten Henrico Zuccalli kam.

Der Kurfürst entschied sich für Effners Version, für die nun Guiseppe Volpini Statuen aus Marmor lieferte und Carl Claudius Dubut Gipsmodelle für mythologische Treppenfiguren. Auf den Treppenläufen war ein schmiedeeisernes Gitter mit Marmorpostamenten für 14 Putten vorgesehen, die Laternen tragen sollten. Gebaut wurde sie nicht mehr. Max III. Joseph hatte die Vollendung dieser Baulücke 1776 schon mal angeleiert, zur Ausführung kam es aber auch nicht.

Die damals schon angefertigten Marmorsteine waren nach einer Untersuchung im Auftrag Ludwigs nicht mehr verwendbar, was auch seine Pläne zunächst zurückwarf. Der König arbeitete gerade an Pompejanum, Feldherrnhalle, Befreiungshalle, Siegestor, Ruhmeshalle mit Bavaria und Propyläen. Erst 1845 stellte er Mittel bereit, um die Schleißheimer Marmortreppe mit neuem Material zu realisieren.

Die Marmorstufen schuf Steinmetzmeister Willibald Schmid aus Rosenheim mit weißem Laaser-Marmor aus Schlanders in Südtirol. Steinmetzmeister Franz Höllriegel aus München arbeitete die alten Bauelemente um, 22 Säulen aus Serpentinstein und den Dekor, und fertigte das Treppengeländer. Die verschränkten Hochovale des Geländers fielen offenbar nicht unter Ludwigs Ächtung von „Schnörkelzeug“. Zum Abschluss erhielt das Vestibül noch ein neues Pflaster aus Solnhofener Platten. 1848, in einem Jahr bürgerlicher und studentischer Revolten wider die alten Fürstenrechte, wurde das über hundert Jahre unvollendete Relikt absolutistischer Fürstenpracht vollendet.

Im Dunstkreis dieser Unruhen dankte auch König Ludwig I. 1848 ab, ausgelöst durch seine Wohltaten für seine Mätresse Lola Montez. Doch auch im Ruhestand plante und baute Ludwig weiter – und wiederum auch in Schleißheim. Schon bei einer früheren Bestandsaufnahme zeigte sich Ludwig in einem Brief an Klenze „erfreut, daß Schleißheim von meinem Vater nicht bewohnt wurde, darum auch unverändert geblieben“. Das galt vor allem für den Schlosspark, der von allen Herrschern seit Max Emanuels Tod nicht angerührt wurde und so unberührt von allen Zeitmoden im barocken Urzustand verblieb – allerdings auch verkam.
Zu Ludwigs Zeiten waren die Anlagen größtenteils verwildert und alle beweglichen Teile wie Skulpturen oder Rohre für andere Nutzungen verwendet oder schlicht gestohlen. Von der Kaskade etwa war die gesamte Vertäfelung verschwunden, das Zierbecken war verschüttet. Im Blumenparterre wuchs Gras. Ludwig beauftragte als Pensionär Carl Effner, den Hofgärtner seines Sohnes und Nachfolgers Maximilian II., den Park „in die alte Pracht“ zurückzuversetzen. Effner, ab 1877 dann im Adelsstand, war der Urenkel Joseph Effners, den Max Emanuel einst neben Zuccalli zum Baumeister auf die Schleißheimer Baustelle berufen hatte.
Carl Effner sollte nun unter anderem das Blumenparterre „nach Plänen und Bildern aus dem Anfange des 18ten Jahrhunderts“ wiederherstellen. Diese Pioniertat der Gartendenkmalpflege leistete er wohl hauptsächlich anhand von Gemälden Franz Joachim Beichs in Nymphenburg, die Schleißheim zeigten, sowie aus Lageplänen in Grundbüchern des frühen 18. Jahrhunderts. Der ursprüngliche Konstruktionsplan der Anlage von Dominique Girard war Effner unbekannt, da er seinerzeit in Wien in den Archiven schlummerte.

Gabriele Ehberger aus der Gartenverwaltung der Staatlichen Schlösserverwaltung nennt Effners Leistung vor gut 150 Jahren „bemerkenswert“. 2010/11 hat die Schlösserverwaltung das Blumenparterre auf Basis von Effners Arbeit sowie moderner gartenarchäologischer Befunde restauriert. Seit dem Zweiten Weltkrieg waren die Gestaltungsornamente fälschlicherweise auf Rasenflächen gebettet statt wie im Original in Kiesflächen.

Auch die Kaskade wurde auf Ludwigs Initiative erneuert. Unter Bauleitung von Eduard Riedel wurde mit Marmor aus dem Untersberg bei Salzburg das Becken neu modelliert. Aktuelle Untersuchungen haben gezeigt, dass auch bei dieser Restauration exakt die Grundform des verfallenen Originals aufgenommen wurde. Einzig der einst zweifellos vorhandene Figurenschmuck wurde nicht kopiert. Im Kontext dieser Maßnahmen wurden auch die vier Brunnenbecken im Parterre wiederbelebt. Dafür wurde eigens ein neues Brunnhaus mit Pumpwerk am nördlichen Kanal an der Freisinger Straße errichtet, das heute noch in Funktion ist.

Auch die Vollendung der Galerie zum nördlichen Pavillon wurde von Ludwig noch angestoßen. Teils bezahlte er die Arbeiten im Ruhestand nun aus eigener Kasse. 1866 genehmigte König Ludwig II. jedoch auch staatliche Maßnahmen, „den Wünschen meines geliebten Herrn Großvaters entsprechend“. Die letzten Arbeiten nach Ludwigs Vorgaben wurden von seinem Enkel, dem „Märchenkönig“, dann nach Ludwigs Tod 1868 noch abgeschlossen.

Das immense Wirken von König Ludwig I. hat freilich jenseits der Bautätigkeit noch einen ganz zentralen Einfluss auf die Schleißheimer Historie genommen. Mit seinem Konzept der Pinakothek beendete er die hochrangige Stellung Schleißheim als Kunstgalerie. Noch 1807 hatte der junge Kunststudent Albrecht Adam über die Schleißheimer Galerie bei seinem Besuch zu Studienzwecken als „Heiligthum der Kunst“ geschwärmt. Die vorrangig von Maximilian I. und Max Emanuel für Schleißheim gesammelten Werke verliehen dem Galerieschloss internationalen Rang. In Ludwigs 1836 eröffneter Münchner Pinakothek wurden nun die herausragenden Werke im Staatsbesitz zusammengezogen, was Schleißheim auch dieser Attraktion beraubte.