Die Anfänge des Passagierflugs in Schleißheim

Kaum sieben Jahre war es her, dass Oberleutnant Graf Wolfskeel mit einem „Otto“-Doppeldecker auf der Pferdeweide beim Schloss Schleißheim gelandet war und damit den Aufbau der Königlich Bayerischen Fliegertruppe ebenso eingeleitet hatte wie den des Flugplatzes Schleißheim. Und jetzt, 1919, sollten die bayerischen Militärflieger schon wieder aus der Geschichte verschwinden, ebenso wie in den turbulenten Tagen nach dem Großen Krieg das Königreich Bayern geendet hatte. Der Flugplatz Schleißheim aber blieb und fand nun eine neue Rolle in der zivilen Luftfahrt. Eine Sonderausstellung in der historischen Flugwerft des Deutschen Museums erinnert gerade an diese Pioniertage vor 100 Jahren.

Der Große Krieg mit seiner erstmaligen militärischen Nutzung von Flugzeugen war für die gerade anlaufende Entwicklung der modernen Luftfahrt ein Durchlauferhitzer gewesen. Der Flugplatz Schleißheim, 1912 mit drei provisorischen Zelten begonnen und mit einer Sollstärke von zwölf Offizieren und 50 Gefreiten aufgestellt, war im Kriegsverlauf regelrecht gewuchert.

900 Piloten und 735 Beobachter waren in den vier Kriegsjahren in Schleißheim ausgebildet worden. Eine heute verschollene Gedenktafel erinnerte an 817 gefallene und 43 vermisste Angehörige der Königlich Bayerischen Fliegertruppe, denen dann 1932 im Maximilianshof des Alten Schlosses ein Ehrenmal gewidmet wurde. Die „Fliegerstation Schleißheim“ war zu einem kleinen Dorf gewachsen mit Fliegerhallen, Schulungsgebäuden, Kasernen und Baracken. 1917, als der Luftkrieg intensiviert werden sollte, wurde noch ein gigantisches Programm zum weiteren Ausbau aufgelegt.

Eine 75 Meter lange und 30 Meter breite Großflugzeughalle entlang der heutigen Münchner Allee war gerade fertiggestellt worden, eine neue Werfthalle am nördlichen Kopfende des Flugplatzgeländes war seit Frühjahr 1918 im Bau – die heutige Flugwerft des Deutschen Museums – und in Hochmutting war bereits ein Bauplan erstellt für eine eigene bayerische Flugzeugmeisterei mit 27 Hallen und eigenem Verladebahnhof.
Kriegsende als Zäsur. Das Kriegsende 1918 hatte die Neubaupläne zur Makulatur werden lassen, gerade die laufenden Bauarbeiten wurden noch fortgesetzt, sofern das nötige Material beschafft werden konnte. In der Fliegerkompanie wurde die Entlassung der Soldaten abgewickelt. Ungeachtet der militärischen Niederlage und der laufenden Kapitulationsverhandlungen plante die deutsche Reichswehr den Aufbau einer Luftwaffe, wobei Schleißheim als Fliegerhorst vorgesehen war.

Einen jähen Stopp setzte diesen Plänen der Friedensvertrag der Siegermächte, der im Juni 1919 in Versailles unterzeichnet wurde und zum Jahresbeginn 1920 in Kraft treten sollte. Demnach war das Deutsche Reich weitgehend zu entmilitarisieren, insbesondere war der Wiederaufbau einer Luftstreitkraft ausdrücklich verboten und es sollte laut Paragraf 202 „das ganze militärische und maritime Luftfahrzeugmaterial ausgeliefert“ werden. Im Mai 1920 wurde die in Schleißheim seit 1912 aufgebaute Bayerische Fliegertruppe aufgelöst.

In nachträglichen Verhandlungen erreichte das Reich, dass deutschlandweit auf neun Flugplätzen eine Grundstruktur von jeweils drei Hallen zur Abwicklung internationalen zivilen Flugverkehrs erhalten bleiben dürfe. Einer dieser exponierten Plätze war Schleißheim. Dennoch wurde infolge der Versailler Bestimmungen bis auf die minimale Infrastruktur für Unterbringung, Wartungs- und Werftarbeiten ein Großteil der Bauten aus Kriegszeiten abgerissen oder abgebaut und an die Siegermächte ausgeliefert.
Damals fielen unter anderem die drei hölzernen Flugzeughallen mit je 180 Meter Länge, die beim Aufbau des Flugplatzes 1912 angelegt worden waren. Die 1918 begonnene Flugwerft wurde fertiggestellt und dann an Landwirte als Scheune vermietet.

Seit Februar 1919 gab es wieder zivile Post- und Passagierflüge im Deutschen Reich, zunächst zwischen Berlin und Weimar, ab März 1919 auch in Bayern zwischen Berlin und Augsburg. Eine Konzession für Post- und Passagierflüge erteilte das Reichsamt für Luft- und Kraftfahrwesen auch dem „Bayerischen Luft-Lloyd“, der 1919 als „Internationaler Luft-Lloyd G.m.b.H. München“ in München gegründet worden war. Zunächst hatte die Gesellschaft Rundflüge vom Münchner Oberwiesenfeld aus angeboten, nach der Umbenennung und Lizensierung dann „Reise-Flüge“.

Die Gesellschaft flog mit Militärdoppeldeckern, die dem Befehl zur Abwrackung entzogen und zu Passagierfliegern umgebaut worden waren. Stationiert waren die „Lloyd“-Flieger in Schleißheim, die Direktion saß in München. Nach einer Kontrolle der Alliierten mussten die meisten Flugzeuge 1920 doch abgegeben oder zerstört werden, gerade vier Maschinen verblieben der Gesellschaft, von denen eine wenig später verunglückte.
Mit zwei „Rumpler C1“ und einer „Albatros B 30a“ startete der „Bayerische Luft-Lloyd“ am 11. April 1921 vom Flugplatz Schleißheim den Linienflug zwischen München/Schleißheim und Konstanz. Die 180 Kilometer lange Strecke wurde täglich beflogen, um 7.30 Uhr mit knapp zwei Stunden Flugdauer ab Schleißheim und um 10 Uhr retour ab Konstanz.

Flugbenzin im Reservekanister. Bei starkem Gegenwind in Flugrichtung Westen kamen auch Flugzeiten über fünf Stunden vor. Dabei mussten die Piloten dann Zwischenstopps auf Wiesen im Allgäu improvisieren und aus den Reservekanistern Benzin nachfüllen. Der damalige „Lloyd“-Pilot Hans Baur schrieb später in seinen Erinnerungen, man habe sich beim Auftanken „schleunigst wieder davongemacht, um nicht vom herannahenden Bauern erwischt zu werden“.
Das Gepäck der Fluggäste war mit Bändern am Fahrgestell festgeschnallt. Die Situation für die Passagiere beschrieb Baur so: „Die Motoren verloren sehr viel Öl, das durch den Fahrtwind immer wieder zurückspritzte und den Passagieren das Gesicht verschmierte.“ Ohnehin säßen die Reisenden „vermummt wie tibetanische Bettelmönche“ im offenen Flugzeug. Bei Regen, Graupel oder Hagel hätten die „durch den Fahrwind beschleunigten Regentropfen gewirkt wie Nadelstiche“. Pilot Baur resümierte, es sei „nicht immer leicht gewesen, Leuten, die einmal Opfer dieser Art waren, die Lust am Fliegen zu erhalten“.

Der Quantensprung für den Passagierflug war die „F13“ von Junkers. Gerhard Filchner, der Leiter der Flugwerft Schleißheim, bezeichnet das erste komplett aus Metall gebaute zivile Flugzeug als „sozusagen die Mutter aller modernen Verkehrsflugzeuge“. Die Kabine für bis zu vier Passagiere war geschlossen und mit Polstersitzen, Heizung und Beleuchtung vergleichsweise komfortabel ausgestattet. Der damalige „Lloyd“-Sekretär Hubert von Ranke schwärmte von „einem Ledersofa im Fond und zwei Fauteuils davor“. Sein Lieblingsplatz in der „F13“ war freilich „auf dem für den Bordmechaniker vorgesehenen Sitz neben dem Piloten, mit dem Kopf im Freien hinter der Windschutzscheibe“.

Das offene Cockpit mit Doppelsteuerung bot Platz für zwei Piloten, die sich bei längeren Flügen am Steuer ablösen konnten. Zukunftsweisend war auch die generelle Auslegung als Eindecker mit freitragendem Flügel. 1922 erhielt auch der „Bayerische Luft-Lloyd“ zwei „F13“, die auf allen Linien eingesetzt wurden und ebenfalls in Schleißheim stationiert waren.

Mittlerweile war der Flugverkehr ein relevanter Faktor des öffentlichen Geschehens geworden, so dass sich der Münchner Stadtrat ab 1920 immer wieder mit der Frage auseinandersetzte, wo der „Lufthafen“ der Stadt – der Begriff Flughafen setzte sich erst allmählich durch – angesiedelt werden könne. Das Oberwiesenfeld, heute Standort des Olympiageländes, war die natürliche Keimzelle der Münchner Fliegerei, doch das Gelände war komplett vom Militär genutzt.

Die frühere Hochburg. Andererseits existierte in Schleißheim die nötige Infrastruktur, laut einem Gutachten von 1921 noch zwei Flughallen, die nagelneue Werft, Kasernen für Personal, Motorenprüfstände, Benzintanks, Gleisanschluss und sogar eine „Fernsprechanlage (2 Anschlüsse des Münchner Stadtnetzes)“. Und Schleißheim war immerhin, so ein Bericht in einem Flieger-Fachmagazin von 1921, „die frühere Hochburg der bayerischen Fliegerei“. In einem Antrag von 1920, in Schleißheim die Kontrolle für den Luftverkehr Südbayern anzusiedeln, hieß es, der Flugplatz sei „wohl der best ausgebaute in ganz Deutschland, auch räumlich einer der grössten und schönsten“.

Wegen der Entfernung von der Stadt sprachen sich dennoch alle Gutachten für die Nutzung des Oberwiesenfelds aus, so dass die Landeshauptstadt Verhandlungen mit dem Wehrkreiskommando aufnahm. Zunächst gab es nur Raum für eine Abfertigungsbaracke für Passagiere. Die Flugzeuge verkehrten nun ab Oberwiesenfeld, mussten aber jeden Abend zur Wartung und Unterstellung nach Schleißheim, von wo sie am nächsten morgen wieder zum Oberwiesenfeld zum Start flogen. Sekretär von Ranke immerhin konnte sich freuen, dass er bei diesen internen Transfers vom Oberwiesenfeld nach Schleißheim „die angenehme Gelegenheit hatte, meine Kusinen und auch sonst verschiedene Freunde einzuladen“…

Erst 1926 einigten sich Münchner Rathaus und das Militär über die fliegerische Nutzung von Flächen am Oberwiesenfeld, bis dann Unterstellhallen für die Flugzeuge und andere Infrastruktur standen, dauerte es bis 1929. So lange blieb der Münchner Flugverkehr auf das Oberwiesenfeld und Schleißheim verteilt.
Die riesigen Flächen des einstigen Militärflugplatzes waren 1923 „zur landwirtschaftlichen Ausnützung“ an die „Stickstoffland GmbH“ mit Sitz in Schleißheim verpachtet worden. Das Flugfeld selbst war freilich „zur Ermöglichung des gegebenenfalls einsetzenden Flugbetriebes von jeder landwirtschaftlichen Bebauung vollständig frei zu halten“. Es dürfe „nur als Weidegang für Schafe benützt werden“.

Mit seiner „F13“ war Junkers zum zentralen Faktor in der zivilen Luftfahrt aufgestiegen. In Schleißheim pachtete die Junkers-Gesellschaft eine Halle an und baute auch die Werft weiter aus. In immer mehr Gesellschaften und Fluglinien involviert, initiierte Junkers eine Kooperation internationaler Gesellschaften, die alle seine „F13“ nutzten. Die „Trans-Europa-Union (Treu)“ wurde am 22. Oktober 1923 in der Schleißheimer Schlosswirtschaft gegründet. Vorsitzender wurde Oskar von Miller, der Gründer des Deutschen Museums.
1925 war mit dem „Suddeutschen AeroLloyd“ schon ein Konkurrenzunternehmen am Start, das mit Fokker- und Dornier-Maschinen flog. Auch diese Gesellschaft nutzte den Flugplatz Schleißheim. Allein von Mai bis Dezember 1925 sind vom „Suddeutschen AeroLloyd“ 1159 Transferflüge Oberwiesenfeld-Schleißheim registriert. Den Wildwuchs der Fluggesellschaften beendete die Einstellung der Subventionen durch die Reichsregierung 1925. Im Jahr darauf wurde die Süddeutsche Luft-Hansa als Einheitsgesellschaft für Bayern etabliert.

Sonderausstellung in der Flugwerft. Mit der vollwertigen Nutzung des Lufthafens Oberwiesenfeld lief Schleißheims Rolle in der zivilen Verkehrsluftfahrt zehn Jahre nach der Gründung des „Bayerischen Luft-Lloyd“ wieder aus. Der Flugplatz wurde in der Folge zum Standort diverser Flugexperimente und von unterschiedlichen Fliegerschulen, ehe er ab 1933 von den Nationalsozialisten wieder für militärische Nutzung konzipiert wurde.

An die mit der „F13“ eingeleitete Epoche des zivilen Passagierflugs erinnert nun in der Flugwerft Schleißheim die Sonderausstellung „100 Jahre Junkers ‚F13‘ und die Anfänge des Luftverkehrs in Deutschland“. Ein Arbeitskreis aus Mitgliedern des „Vereins zur Erhaltung der historischen Flugwerft“ und der „Bayerischen-Flugzeug-Historiker“ hat die Ausstellung gestaltet, die noch bis 1. März zu sehen ist.

Zur Eröffnung im Oktober flog ein originalgetreuer Nachbau der „Legende aus Wellblech“, so das Deutsche Museum, in Schleißheim ein und bot Rundflüge an. Die originale „F13“ hatte am 25. Juni 1919 in Dessau ihren Erstflug. In der Folge wurden etwa 360 Exemplare in unterschiedlichen Varianten gebaut. Das Passagierflugzeug war in über 40 Ländern bei rund 150 Fluggesellschaften im Einsatz. In Südamerika wurde sie bis in die 1950er Jahre geflogen.

2013 startete der Unternehmer und leidenschaftliche Pilot Dieter Morszeck ein Projekt zur Neuauflage der „F13“. 2018 gründete er dafür die „Junkers Flugzeugwerke AG“ in Dübendorf bei Zürich. Da Originalzeichnungen und -baupläne nicht mehr für alle Teile des Fliegers vorhanden waren, wurde mit Hilfe von Lasertechnik eines der wenigen erhaltenen Originale exakt vermessen. Im Archiv des Deutschen Museums in München wurden mehr als 700 Dokumente analysiert. Für den Nachbau mussten dann längst vergessene Bauweisen und die Handhabung mit dem Aluminium-Wellblech wieder erlernt werden. Der erste, in Handarbeit gefertigte Prototyp der „neuen F13“ hatte am 15. September 2016 seinen Erstflug in Dübendorf.

Weltweit sind heue noch drei Originale der „F13“ bekannt, in Paris, Stockholm – und am Deutschen Museum. Die Geschichte dieses Exponats ist eine der bizarrsten Episoden hinter den abertausenden Objekten des Museums. Selbstverständlich besaß das größte deutsche Technikmuseum seit der Ausmusterung der „F13“ ein Flugzeug dieses Typs – doch 1944 wurde es in der Ausstellung bei einem Bombenangriff des Zweiten Weltkriegs zerstört.

 

In den 1960er Jahren aber fand der einstige Junkers-Konstrukteur Kurt Weil bei einer wissenschaftlichen Tätigkeit in Afghanistan auf einem Schrottplatz in Kabul – den Rumpf einer „F13“. Motor, Fahrwerk und eine Maschine zur Produktion des typischen Wellblechs werden bei der darauf erfolgenden Suche ebenso in Kabul gefunden, nur die Tragflächen bleiben verschwunden.
Die Maschine war offenbar 1928 vom afghanischen König Amanullah erworben worden. Bei einem Besuch der Junkers-Flugzeugwerke in Dessau während einer Deutschlandreise hatte er zwei „F13“ mit den Namen „Wachtelkönig“ und „Nymphensittich“ als Grundstock einer eigenen afghanischen Luftflotte angekauft und Aufbauhilfe mit Junkers vereinbart.

Doch 1929 wurde Amanullah gestürzt. Die Maschinen verrotten in Kabul ungenutzt, ehe sie 1937 mit deutscher Hilfe wieder für das afghanische Militär flugfähig gemacht werden. Danach verliert sich ihre Spur endgültig, ehe der Fund auf dem Schrottplatz gelang. Mit der gerade in Dienst gestellten „Transall“ wurden die „F13“-Reste im Juni 1969 von Kabul nach Deutschland auf den Militärflugplatz Erding gebracht.

Nach einer Restaurierung in den Werkstätten von Messerschmitt-Bölkow-Blohm kam die „F13“ 1984 ins Haupthaus des Deutschen Museums. Zum Beginn der Sanierungsarbeiten auf der Museumsinsel landete sie 2015 im Depot; in Schleißheim war kein Platz für die Pretiose. In der Sonderausstellung sind nun einige Bauteile der „F13“ zum Anfassen, die Handpresse zum Anfertigen von Wellblech, ein Cockpit-Nachbau mit Originalinstrumenten und einen aufgeschnittenen original Flugmotor Junkers „L5“.