Kurz vor seinem 18. Geburtstag war der junge Karl Mangold, Postverwalterssohn aus Pirmasens in der damals bayerischen Pfalz, zur Bayerischen Infantrie eingezogen worden. Nach einer militärischen Karriere, die ihn als 19jährigen zum Leutnant mit Eisernem Kreuz II. Klasse aufsteigen ließ, stieg er zur Fliegerei um und startete am 15. August 1917 im Beobachterkurs 14/XXI bei den bayerischen Fliegertruppen in Schleißheim.
Die militärische Fliegerei war im Ersten Weltkrieg eine völlig neue Diszpiplin – und Schleißheim war sein Zentrum in Bayern. Als der „Große Krieg“ am 1. August 1914, vor einhundert Jahren, begann, da lag der erste motorisierte Menschenflug gerade elf Jahre zurück. 1912 war das Königreich Bayern, das auch nach der Proklamation des Deutschen Reiches 1871 ein eigenständiges Heer behalten hatte, in die Militärfliegerei eingestiegen. Eine „Luftschiffer- und Kraftfahrabteilung“ des Heeres wurde gebildet und mit Verfügung des Kriegsministeriums vom 15. März 1912 mit einer „Fliegerkompanie“ in Schleißheim stationiert. Auf weitläufigen Flächen des staatlichen Remonte-Depots, einer Ausbildungsstation für Militärpferde, landete mutmaßlich am 16. April der erste Doppeldecker, Drei Zelte und umgewidmete Gebäude des Remonte-Depots bildeten die Keimzelle des Flugplatzes.
Mit der Mobilmachung des Deutschen Reiches ab dem 1. August änderte sich die Abenteuerromantik der Flugpioniere radikal. Schleißheim war die einzige Fliegerersatzabteilung der bayerischen Armee, hier wurde von Kriegsbeginn bis Ende 1916 das gesamte Flugpersonal ausgebildet und alle Maschinen für den Fronteinsatz gewartet und verschickt, von da an bis Kriegsende blieb es Zentrum und wichtigster Luftfahrtstandort. Schon am 7. August brachen die ersten drei Fliegerabteilungen mit zusammen 16 Flugzeugen zur Unterstützung der Infantrie an die Westfront nach Lothringen auf.
Die Flugzeuge wurden in ihren Heimatkompanien auseinandermontiert, auf Eisenbahnwägen verstaut und so an die Front befördert, wo sie wieder zusammengesetzt und in Zelten untergestellt wurden. Wartung und Reperatur erfolgte dann wieder in den Fliegerersatzabteilungen. Flugzeuge waren in der Kriegsstrategie 1914 ausschließlich zur Aufklärung vorgesehen. Ein Pilot und ein Beobachter peilten aus der Luft die Lage oder schossen Fotos, die dann zur strategischen Planung an die Oberkommandos übermittelt wurden. Erst während des Kriegsverlaufs wurden auch taugliche Bewaffnungssysteme entwickelt und damit die Disziplin der Jagdfliegerei aufgebaut, die nun mit den „Flieger-Assen“ einen völlig neuen Typus moderner Kriegshelden hervorbrachte, Einer der berühmtesten, Ernst Udet, war übrigens von der Bayerischen Fliegerkompanie in Schleißheim als zu klein abgelehnt worden; er musste sich den Preußischen Fliegern anschließen.
In Schleißheim wurden während des Weltkriegs 900 Piloten und 735 Beobachter ausgebildet. In durchschnittlich dreimonatigen Kursen wurden die Flugzeugführer geschult und nach einem Überlandflug von mindestens 250 Kilometern zum Abschluss als fronttauglich zertifiziert. Die Beobachter, die wegen ihrer strategischen Aufgaben im Gegensatz zu den Piloten ausnahmslos im Offiziersrang qualifiziert sein mussten, hatten zunächst nur die Kamera zu bedienen, später aber auch die Bordwaffe, meist ein am Rumpf montiertes Maschinengewehr.
So rasant sich die neue Kriegstechnik entwickelte, so fieberhaft mussten die Kapazitäten in der Fliegerkompanie in Schleißheim Schritt halten. 1912/13 waren als erstes befestigtes Gebäude auf dem neuen Flugplatz ein Werkstattgebäude mit Wache und Kommandantur entstanden, das heute Bestandteil des Deutschen Museums ist, und zwei Flugzeughallen aus Holz. Noch in Friedenszeiten wurden zwei Mannschaftsbaracken, ein Offizierswohnheim, ein Pumpenhaus und eine Kläranlage, ein Stall, eine Fahrzeuggarage und zwei weitere Flugzeughallen errichtet.
Bei der Mobilmachung 1914 standen in Schleißheim 44 Offiziere, 52 Unteroffiziere sowie 239 Mann unter dem Kommando von Hauptmann, später Major Friedrich Stempel. Bis 1916, als mit dem „Hindenburg-Programm“ die Kriegsrüstung verstärkt und speziell auch die Fliegerei exponentiell ausgebaut werden sollte, hatte sich die Stärke der Fliegerersatzabteilung in Schleißheim verdreifacht. Gigantische Ausbaupläne für den Flugplatz lagen vor, die nicht mehr komplett umgesetzt werden konnten. Die Soldaten mussten privat am Ort einquartiert werden, in Gasthäuser, im Schulhaus, in ungenutzten Räumen der Schlösser. Ende 1917 waren 245 Offiziere in Schleißheim stationiert. Dazu leisteten nun 273 Frauen Hilfsdienste bei der Abteilung, vor allem als Schreibkräfte. Sie mussten überwiegend täglich mit der Bahn aus München zu ihrer Abteilung fahren, da es am Ort kein Unterkommen mehr gab.
Die Meldung zur Fliegertruppe geschah ausschließlich freiwillig. In personellen Engpässen waren die Abteilungen angehalten, kein Gesuch abzulehnen. Auch Leutnant Karl Mangold muss sich Mitte 1917 von der Infantrie an der Westfront freiwillig nach Schleißheim gemeldet haben. Nach nur zweimonatiger Ausbildung erhielt er am 23. Oktober den Marschbefehl zur Fliegerabteilung (A) 297, die in Frankreich stand. Am 26. Oktober kam er dort an und schrieb an seine Eltern, er sei „gut angekommen“ und werde „einige Tage hier bleiben, um mich zu mästen“. München, worunter er auch seine Ausbildungsstätte Schleißheim summierte, werde er „sobald nicht wiedersehen“, schrieb er mit einigem Wehmut.
Die im Zuge des „Hindenburg-Programms“ benötigten Verstärkungen konnten in Schleißheim allein nicht mehr bewältigt werden. Ab Mitte 1916 wurden sechs weitere Fliegerschulen in Bayern errichtet, Ende 1917 eine zweite Fliegerersatzabteilung in Fürth. Schleißheim blieb Keimzelle und Zentrum, erhielt als Schule und Abteilung jeweils die laufende Nummer eins. Die Beobachterausbildung blieb ausschließlich Schleißheim vorbehalten. Der Flugplatz beherbergte nun – im Militärjargon – MilFlSch (Militärfliegerschule), FlBeobSch (Fliegerbeobachterschule), FlFuSch (Fliegerfunkerschule) und Libist (Lichtbildstelle).
Die Beobachterschule, Kern der bayerischen Militärflugausbildung, erhielt mit den steigenden Anforderungen Anfang 1917 ein eigenes Gebäude auf der Westseite des Würmkanals. Prunkstück war ein hochmoderner Artillerie- und Bomembenlehrsaal mit einem Flugsimulator, in dem die Flugbegleiter im „Trockentraining“ das Schießen mit den Maschinengewehren am Flugzeug und als allerneueste Technik den Bombenabwurf üben konnten, ehe sie ihn im Trainingsflug auch unter Flugbedingungen erprobten.
Der Schulungsbetrieb in der weiterhin noch jungen und unausgegorenen Flugtechnik lief anders andere als reibungslos. Abstürze in und den Flugplatz gehörten zur Fliegerfolklore in den Pioniertagen, wurden immer wieder fotografisch dokumentiert und bei glimpflichem Ausgang auch anekdotisch ausgeschlachtet.
Der Schleißheimer Verschönerungsverein präsentierte in einem Prospekt 1914 den Flugbetrieb als Idylle: „Zahlreiche Aeroplane stehen bereit, werden geprobt, gesichtet unter dem sausenden Rattern und Knattern der Motore. Hurtig schnell, surrend wie zornige Hummeln, fahren die Apparate an, erheben sich mählich in die Luft und beschreiben Kurve um Kurve, immer höher immer höher oder entschwinden in blaue Ferne, dem Siege oder dunklem Verhängnis entgegen, wie es dem Schicksal gefällt. Nicht überall hat man Gelegenheit, die gefahrvolle Eroberung der Luft in allen Phasen so bequem und leicht sehen zu können wie in Schleißheim.“
Diese kühne Bilanz nach zwei Jahren Fliegerkompanie könnte hundert Jahre später mit etwas mehr Berechtigung das Motto der Flugwerft Schleißheim des Deutschen Museums sein. Um die historische Kommandantur als ältestem erhaltenem Relikt des Flugplatzes aus der Zeit der Königlich Bayerischen Fliegertruppe sind die Ausstellungshallen des Museums entstanden. Stilecht in den Räumen der Kommandantur dokumentiert das Museum auch die Zeit des „Großen Krieges“ mit Erinnerungsstücken und als Prunkstück dem Erinnerungsbuch zum Abschied von Major Stempel, dessen Seiten digital über einen Bildschirm laufen. Die „Freunde von Schleißheim“ haben mit einer ungeheuer detailreichen und umfassend bebilderten Publikation aus der Feder von Heimatforscher Otto Bürger der Ära ein weiteres Denkmal gesetzt (erhältlich im Tourismusbüro).
Nach dem Ende der Kämpfe des „Großen Krieges“ stand Schleißheim als Standort eines Freikorps noch im Brennpunkt der Kämpfe um die Münchner Räterepublik. In den Plänen der Reichsregierung für den Aufbau einer Reichswehr des Deutschen Reiches erhielt Schleißheim den Status eines Reichswehrfliegerhorstes. Am 10. Januar 1920 trat jedoch der Versailler Friedensvertrag in Kraft, der die völlige Demobilisierung der deutschen Luftwaffe forderte. Am 8. Mai 1920 wurde die Bayerische Fliegertruppe aufgelöst.
In Schleißheim wurden Flugplatzgebäude abgerissen oder abmontiert und nach Frankreich geliefert. Das Gelände wurde von dem in Schleißheim ansässigen Staatsgut im Alten Schloss angepachtet. Die 1918 begonnene neue Werft, die bis Kriegsende im Rohbau stand, wurde noch vollendet, nach dem Flugverbot des Versailler Vertrags dann aber als Viehstall vermietet. Eine Motorenprüfstandhalle wurde vom Turn- und Sportverein Schleißheim abgebaut und als Turnhalle wieder aufgestellt, die bis in die 1970er Jahre genutzt wurde.
Der Flugbetrieb auf dem Flugplatz wurde mit der Lockerung des absoluten Flugverbots mit Post- und Transportfliegen wieder aufgenommen und seither mit unterschiedlichsten Akzenten, aber in ununterbrochener Folge fortgeführt. Die Flugwerft ist mit der Kommandantur historischer Kern des Deutschen Museums geworden.
Karl Mangold gefiel es im Oktober 1917 ausserordentlich bei seiner Fliegereinheit und dem Standort bei Souain im Département Marne in der Region Champagne-Ardenne. „Ganz idyllisch“ sei es, schrieb er den Eltern, der Frontabschnitt sei „ziemlich ruhig“. Die Verpflegung war offenbar auch gut, „so kann man den Winter verbringen“, und wenn es so angenehm weitergehe, werde er auch „das nächste Jahr daselbst bleiben“. Von den Eltern erbat er sich mit Brief vom 26. Oktober, der mit einer gepressten Mohnblume im Archiv des Deutschen Museums liegt, „meinen Rasierapparat (den guten) sowie meine Gebirgsschuhe, die ich sehr nötig brauche“.
Am 1. November, sechs Tage nach dem Brief in die Heimat, flogen der 20jährige Flugbeobachter Karl Mangold und Flugzeugführer Friedrich Hahn ein Schutzflugzeug für ein Flugzeug, das mithalf, die Artillerie auszurichten. Sie wurden von einer aus den Wolken herausstürzenden Spad, einem französischen Doppeldecker-Jagdflugzeug, überrascht und mit den ersten Schüssen abgeschossen. Am 4. November um 7.50 Uhr erreichte das Postamt Pirmasens ein Telegramm aus dem Felde, wonach „laut den jetzt vorliegenden Meldungen Ltn. Mangold tot ist“.