Der Komponist und Privatgelehrte Erich Junkelmann

 

Der junge Freier hat ein edles Gemüt und mehr Poesie als Geld. Statt der groben G’stanzeln seiner Nebenbuhler singt er der Geliebten: „O, wie ist die Nacht so linde, komm Geliebte, komm geschwinde, unsre sehnsuchtsvollen Seelen wollen sich in Lieb‘ vermählen, komm Geliebte, komm geschwinde“. Aber der hartherzige Vater der Umworbenen schaut schon mehr auf’s Praktische und verweigert seinen Segen. Doch „Beharrlichkeit führt zum Ziel“ heißt es im Untertitel des „alt-münchner Puppenspiels“ vom „Unerwünschten Werber“…

Das autobiografisch grundierte Marionettenspiel mit Musik in drei Bildern ist eines der originellsten Werke aus dem breitgefächerten Schaffen des Komponisten, Linguisten, Kunsthistorikers, Privatgelehrten und Sammlers Erich Junkelmann, der zwei Jahrzehnte im Schloss Lustheim lebte und arbeitete. Sein Oeuvre, das zehn Opern umfasst und ansonsten von Klavierkonzerten über Marionettentheater bis zur Satirensammlung oder Übersetzungen reicht, ist ein halbes Jahrhundert nach seinem Tod nahezu vergessen. Zu seinem 65. Geburtstag 1955 würdigte ihn der „Verband Münchner Tonkünstler“ noch als „vielseitige Persönlichkeit, deren künstlerisches Interesse sowohl auf dem Gebiet der Kunstgeschichte als auch der Musik liegen“. Er habe sich „nicht nur als hervorragender Kenner der asiatischen Kunst, sondern auch als Komponist einen geachteten Namen erworben“.

Im Sommer 1949 besuchte Junkelmann, der seit den 1920er Jahren in München lebte, mit seiner Ehefrau Charlotte die Schleißheimer Schlossanlage. Das Paar hatte 1939 in Nürnberg geheiratet – die Vorgeschichte dieser Vermählung inspirierte den „Unerwünschten Werber“. Da die Münchner Wohnung durch den Weltkrieg beschädigt war, entstand beim Anblick des leer stehenden Schlosses Lustheim spontan die romantische Idee, doch hier die neue Wohnung aufzuschlagen. Da Junkelmann menschen- und insbesondere behördenscheu war, versprach er seiner Charlotte eine Tafel Schokolade – unter den Nachkriegsumständen etwas sehr Kostbares – , wenn sie sich nach Nymphenburg zur Schlösserverwaltung begeben würde, um das Anliegen vorzuschlagen… Und Charlotte Junkelmann wagte es: Im Herbst 1949 zog das Ehepaar mit seinem neugeborenen Sohn Marcus in den Nordflügel des brach liegenden Schlößchens.

 

Erich Junkelmann wurde am 6. Januar 1890 in Leipzig geboren, wo sein aus Pößneck in Thüringen stammender Vater als Fabrikleiter in der Tuchindustrie tätig war. Schon früh für die Musik begeistert, erhielt Junkelmann in Leipzig grundlegende musikalische Ausbildung bei den Musikwissenschaftlern und Komponisten Hugo Riemann und Arthur Prüfer. Die Eltern tolerierten die musische Neigung des Sohnes zwar, waren jedoch skeptisch, ob seine musikalische Leidenschaft den Lebensunterhalt sichern könne, und bestanden daher darauf, dass er wenigstens „Solides“ studiere. So wurde Junkelmann Student der Neuphilologie mit dem Schwerpunkt Anglistik in London, München und Tübingen. Schon mit 23 Jahren gab er eine im Britischen Museum verwahrte englische Übersetzung der Aeneis aus dem 16. Jahrhundert heraus.
Im Ersten Weltkrieg mussten die Studien ruhen. Da Vater Junkelmann den Wohnsitz der Familie mittlerweile in die – damals bayerische – Pfalz verlegt hatte, diente Sohn Erich in einem bayerischen Regiment. Nach drei Verwundungen und einer schweren Erkrankung wurde er noch vor Kriegsende entlassen. 1918 promovierte er in Tübingen mit einem Thema zum elisabethanischen Englisch.

In den Folgejahren war Junkelmann an mehreren Museen tätig, veröffentlichte Aufsätze zur Geschichte der Druckkunst und übersetzte Werke zur ostasiatischen Kunstgeschichte ins Deutsche. Die Beschäftigung mit chinesischer und japanischer Kunst und Dichtung rückte immer mehr in den Mittelpunkt seiner Interessen. 1922 machte er sich als Kunsthändler selbständig und zog nach München. Dort war er maßgeblich am Aufbau der berühmten Sammlung ostasiatischer Graphik von Emil Praetorius beteiligt.

Im Vordergrund stand für Junkelmann trotz aller „solider“ Ausbildung und Arbeit stets die Musik. In München erhielt er weitere musikalische Unterweisung bei August Reuß. Er war virtuos am Flügel. In den 1920er und 1930er Jahren wurden Klavierstücke von ihm wiederholt aufgeführt, unter anderem in München, Nürnberg und Mannheim. Eine „Fernöstliche Klaviersuite“ wurde ebenso gespielt wie die „Dalmatinische Suite für Klavier“, Tanzsuiten oder eine Threnodie, ein Klagelied, auf den Tod der Mutter als Kirchenmusik. Der Staatsoper Mannheim komponierte er Bühnenmusik, der Bayerische Rundfunk sendete von ihm selbst gespielte Eigenkompositionen. Gedichte und kurze Satiren wurden in Tageszeitungen abgedruckt.
Diese Phase populären Schaffens wurde im „Dritten Reich“ schleichend beendet. Da Junkelmann sich weigerte, der nationalsozialistischen Reichsmusikkammer beizutreten, wurde sein bestehendes Werk kaum mehr aufgeführt, neue Aufträge gab es nicht. Um nach Kriegsende wieder entdeckt zu werden, war Junkelmann nicht populär genug. Zudem war die Ernste Musik jetzt ganz von der Moderne beherrscht, während Junkelmanns Kompositionen den musikalischen Traditionen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts verhaftet blieben.

Seinem „Unerwünschten Werber“ stellt er so einen Prolog des Kasperls über die „guade oide Zeit“ des Münchner Biedermeier voraus: „Des waren brave Leit damals, was haben die für a anständigs Leben gführt: glückliche Ehen, ehrbarer Lebenswandel, a Religion haben’s ghabt und a Hoffnung auf’n Himmi. Grad schön war’s. Natürli haben’s ananda a amol an Maßkruag naufghaut, aber in aller Freindschaft. Und heit? Also flüchten wir uns in die Zeit, wo der Mensch noch Mensch war.“

Das Schloss Lustheim, Postadresse „13b, Schleißheim“, bot dem mittlerweile 59jährigen Gelehrten das erwünschte Refugium. „Er war ein Einsiedlerkrebs“, sagt Sohn Marcus Junkelmann heute über den Vater. Das Alte Schloss war damals eine zerbombte Ruine, das Neue Schloss nach dem Abzug der Gemäldesammlung und noch vor der großen Wiederentdeckung in den 1970er Jahren ein vergessenes Relikt, in Lustheim gab es noch keine Porzellanausstellung, der Park war teilweise verwildert und seinerzeit noch kaum besucht.

Den spontanen Plan, dort zu leben, romantisch zu nennen, ist dabei stark untertrieben; nach heutigen Maßstäben war die Idee tollkühn. Schloss Lustheim befand sich mit Ausnahme des elektrischen Stroms noch unverfälscht auf dem Komfortstand des 17. Jahrhunderts. Nur zwei Räume waren mit Öfen heizbar, wobei das Brennmaterial vom Keller heraufgetragen werden musste. Wasser musste im Keller per Hand gepumpt und ebenfalls nach oben getragen werden. Das Schloss hatte kein WC, kein Bad, kein Telefon, von einem – von Junkelmann ohnehin verhassten – Fernsehempfang ganz zu schweigen. Und das mit einer hochschwangeren Frau an seiner Seite.

„Er hatte einen Hang zu rückwärtsgewandten romantischen Lebensweisen“, sagt der Sohn, „und für die Mutter galt das glücklicherweise nicht weniger“. Der Schlossflügel bot Abgeschiedenheit und ohne Telefon oder Fernsehen auch Unberührtheit von den von Junkelmann ungeliebten Errungenschaften des 20. Jahrhunderts. Junkelmann lebte zurückgezogen und verbrachte den größten Teil des Tages am Flügel. Gesehen wurde er gelegentlich, wie er in langem Mantel, Basken- oder Schottenmütze auf dem Kopf oder auch in der Lederhose stundenlange Spaziergänge im Park unternahm.

In seinen kunsthistorischen Interessen und sammlerischen Schwerpunkten vollzog sich in Lustheim in den letzten Lebensjahren eine Umorientierung aus dem asiatischen Kulturkreis in Richtung Altägypten, Etrurien und Rom. Seine Sammlungen konnten jederzeit besucht werden. Dazu gab er im Schloss Lustheim immer wieder Konzerte mit eigenen Kompositionen, unterstützt von Gastmusikern.

Im Laufe der Jahre entstand ein riesiges Werk, das schließlich unter anderem die zehn Opern „Der Richter von Zalames“, „Das Grauen“, „Fräulein Goldlotos“, „Medea“, „Elga“, „Der kleine Muck“, „Der Kreidekreis“, „Der falsche Prinz“, „Der Sorotschinsker Jahrmarkt“ und „Elenka“ umfaßte, ein Klavier-, ein Flötenkonzert, zahlreiche Quartette, Préludes, Konzertetüden, Suiten, Orgelwerke, Klavierstücke und 130 Lieder. Außerdem schrieb er Lyrik, satirische Gedichte, Märchen und Kurzgeschichten. Im April 1964 erlitt Junkelmann während einer seiner zahlreichen Aufenthalte in Rom einen Herzinfarkt, an dessen Folgen er am 17. Juli 74jährig in Schloss Lustheim starb. Er liegt in Hochmutting begraben.