Marmor zum Schein: Scagliola-Kunstwerke im Schloss

Unter all den Pretiosen in Schloss Schleißheim sind die Gestaltung der Kapelle In den Gemächern der Kurfürstin und des ein Stockwerk direkt darunter liegenden Kabinetts des Kurprinzen nicht nur Prunkstücke an Optik, Ästhetik und Pracht – sondern auch in der Gestaltungstechnik.

 

Mit Intarsien aus Marmor scheinen die Wände der beiden intimen Räume gebildet – tatsächlich aber sind sie in der heute verschwundenen Scagliola-Technik geschaffen worden, auf die einst der bayerische Hof nahezu ein Monopol hatte. Zur Einrichtung Schleißheims war die Scagliola-Kunst mit dem Tod ihres renommierten Meisters gerade ausgestorben, weshalb Kurfürst Max Emanuel die beiden Prunkräume aus der Münchner Residenz nach Schleißheim transferieren ließ. 

 

Farbige Marmordekorationen waren in der antiken Überlieferung stets den Palästen der Cäsaren vorbehalten gewesen und folglich ein Herrschaftsmerkmal, mit dem auch die Höfe des 17. Jahrhunderts prunken wollten. Der bayerische Hof tat dies auf originelle Art. Der Augsburger Kunstagent Philipp Hainhofer, der 1611 die Besitztümer der bayerischen Herzöge besuchte und davon detaillierte Berichte hinterließ, schrieb aus der Münchner Residenz über die prächtigen Zimmerfluchten, an denen höchst bemerkenswert war, dass „wol dess Keysers stainschneider von dieser arbeit betrogen worden.“

 

Während in Wien, am Hof des Kaisers, die standesgemäßen Marmorintarsien auch tatsächlichen aus den wertvollen Steinen gefertigt waren, hätten nun die kaiserlichen Gesandten in München die Raumdekorationen ebenfalls „für lauter natürliche Edelgestein gehalten vnd schon eingelegt zu sein vermaint“, wie Hainhofer die Illusion beschrieb. An den Wänden war freilich kein einziger Edelstein, vielmehr hatte sie ein Künstler mit Münchner Exclusivvertrag in Scagliola kreiert. Dabei handelt es sich um eine Wanddekoration aus gegossenen und ausgeschnittenen Stuckplättchen, die wie Intarsien zu ornamentalen oder gegenständlichen Darstellungen zusammengesetzt werden.

Zur Herstellung wird gebrannter Gips mit Leimwasser und Farbpigmenten für den gewünschten Einsatz verknetet. Die schlierige Masse wird dann zu flachen Platten von etwa einem Zentimeter Höhe ausgestrichen und in die benötigten Stücke geschnitten, die nach dem Trocknen steinhart werden. Diese Stuckteile werden dann zusammengesetzt und in zahllosen Schleifdurchgängen mit immer feinkörnigeren Materialien eben, fugenlos und blitzblank glänzend poliert.

Stuckmarmor war schon in der Spätantike bekannt. In Europa ist die Technik dann erst wieder in der Zeit um 1600 gebräuchlich. Der Name Scagliola (=Splitter) kommt aus dem Italienischen, so dass auch die Technik dort entstanden sein dürfte. Zentrum dieses Kunsthandwerks aber wurde München – dank der Familie Pfeiffer. Blasius Pfeiffer war als herzoglicher Stuckhator am Münchner Hof beschäftigt. Sein Ruhm oder seine Exzentrik gingen so weit, dass er seinen Namen lateinisierte und als Fistulator (=Pfeifer) zeichnete.

Er beherrschte wohl in Mitteleuropa exclusiv die Scagliola-Technik. Aus 1607 datieren die ersten Werke in der Residenz. Zum Höhepunkt brachte die Kunstform dann sein Sohn Wilhelm, der schon seit 1602 in der Werkstatt des Vaters mitarbeitete, 1621 ebenfalls eine persönliche Anstellung am Hof erhielt und 1622 dem verstorbenen Vater als herzoglicher Stuckhator nachfolgte. Über ihn urteilten die Zeitgenossen, dass er „in ganz Römischen Reich in der marmoratur seines gleichen nit gehebt“.

In Scagliola gestaltet wurden von den Fistulators Einlegearbeiten im Antiquarium der Residenz, an den Wänden der sogenannten Trier- und Steinzimmer, damals die offiziellen Prunk- und Gästeappartements der Residenz, oder den Kabinetten der Kurfürstin. 1632 legte Kurfürst Maximilian nochmal nach und ließ die sogenannte „Reiche Kapelle“ der Residenz von Wilhelm Fistulator mit einem Zyklus von Bildtafeln ausstatten, der dazu nach der Holzschnittfolge des „Marienlebens“ von Albrecht Dürer miniaturhaft kleine Szenen aus der legendhaften Vita der Jungfrau schuf.

Damit seien seinerzeit die Fistulators „maßgeblich für den weithin hallenden Ruf der Münchner Residenz als prunkvollster und ambitioniertester Schlossanlage im Reich verantwortlich“, urteilt Dr. Christian Quaeitzsch, Referent des Münchner Residenzmuseums in der Museumsabteilung der Bayerischen Schlösserverwaltung, in seinem Beitrag zum 350. Todestag von Wilhelm Fistulator in diesem Jahr. Der Herzog ließ seinen geschätzten Stuckhator sich eidlich verpflichteten, „die kunst kheinem menschen, so gahr kheinem brueder (wohl im Sinne von Kollegen), noch befreindten nit offenbaren, zaigen, lehrnen oder sehen lassen, auf welcherlay weis, das immer geschechen möge, noch vill weniger dieselbe ausserhalb ihrer Churfürstlichen durchlaucht diensten zu treiben“.

Obwohl viele Scagliola-Dekorationen in den Jahrhunderten und hauptsächlich im Zweiten Weltkrieg verloren gingen, machten laut Quaeitzsch „allein die erhaltenen Arbeiten die Residenz bis heute zu einem internationalen Zentrum und Höhepunkt dieser einzigartigen Kunstgattung, die Betrachter durch ihre optisch-haptischen Effekte seit jeher fasziniert“.

 

Und erhalten sind die Pretiosen auch in Schleißheim. 1669 war Wilhelm Fistiulator verstorben. Bis 1670 ist die Arbeit einer „Frau Stuckhatorin“ nachweisbar, unter anderem in der Stiftskirche Kempten, hinter der Kunsthistoriker Wilhelm Fistulators Ehefrau Barbara vermuten; der Eid gegenüber dem Herzog hatte demnach offenbar zur Beschränkung des Kunstgeheimnisses auf die Familie geführt, so dass völlig singulär in jener Zeit eine Frau als Künstlerin am Kirchenbau arbeiten konnte.

 

Bei den Kindern des Fistulator-Paares verliert sich die Spur, so dass Max Emanuel für die Ausgestaltung von Schleißheim möglicherweise nicht mehr auf neue Anfertigungen zurückgreifen konnte. Andererseits wollte er offenkundig auch nicht auf die prachtvolle und für den Münchner Hof so charakteristische Kunst verzichten. Er ließ auch alte Scagliola-Räume in der Münchner Residenz restaurieren, die bei einem Brand 1674 zerstört worden waren.

 

Als es über 20 Jahre nach der Grundsteinlegung von Schloss Schleißheim und diversen freiwilligen und unfreiwilligen Absenzen des Kurfürsten endlich an die Ausstattung des gigantischen Bauwerks gehen konnte, ordnete Max Emanuel als Aufgabe für den Sommer 1724 an, „die beiden kleinen Kabinette in den Appartements der Kurprinzen und Kurprinzessin müssen mit Marmorstukkaturen ausgestattet werden“; er schrieb die Anweisung mit eigener Hand in französisch, wobei er die Formulierung „stucs marbres“ für die Fisculator-Werke verwendete.

 

Er befahl konkret, die Stücke „aus den Kabinetten des Münchner Palasts zu entnehmen. Und wenn einige Steine fehlen, kann man sie hinzufügen.“ Für die beiden Schleißheimer Kabinette wurden die Scagliola-Räume der sogenannten „Trierzimmer“ aus der Residenz umgezogen, also zwei vollständige Raumdekorationen komplett versetzt. Die „Trierzimmer“ wurden unter Maximilian I. als Appartements für hochrangige Gäste um den Kaiserhof errichtet.

Zu beiden Gästeappartements gehörte jeweils ein Kabinett mit Stuckmarmorintarsien. Ihren hausinternen Namen hatten sie nach Clemens Wenzeslaus, dem Erzbischof von Trier, ein Wittelsbacher Verwandter, der diesen Trakt häufig bewohnte.

Das „Hinzufügen der fehlenden Steine“, von dem Max Emanuel geschrieben hatte, also die Anpassung an die Schleißheimer Raummaße, übernahm Johann Georg Baader, der in der Kammerkapelle im ersten Stock die Tafeln einsetzte und in Altarnische, an der Altarmensa und in den Fensternischen neue Tafeln mit der Bandelwerkornamentik der 1720er Jahre ergänzte.

 

Im Stuckatur-Kabinett im Erdgeschoss waren die Stuckatoren Anton und Benedikt Langenbucher mit dem Einbau beschäftigt. Sie ergänzten die alten Tafeln hier durch eine Scagliola-Tafel in der Nische der Stirnwand mit dem Monogramm Max Emanuels unter dem Kurhut, eine Tafel mit dem bayerisch-polnischen Allianzwappen des Kurfürsten und seiner Gemahlin über der Tür sowie Tafeln in den Fensternischen.

 

„Auf diese Weise entstanden die in ihrer Dekoration außergewöhnlichen Kabinette mit ihrer retrospektiven, gleichwohl höchst kunstfertigen Stuckmarmorvertäfelung an den Wänden und der äußerst innovativen Stuckdekoration der Decken durch Johann Baptist Zimmermann“, bilanziert Dr. Brigitte Langer, die für Schleißheim zuständige Museumsdirektorin der Schlösserverwaltung. Bei Bergungsarbeiten 1943 fand man auf der Rückseite einer Tafel im Stuckatur-Kabinett die Signatur „16WF29“, die gelesen wird als „Wilhelm Fistulator, 1629“.

Obwohl der Nordflügel im Obergeschoss nach den Bauplänen als Appartement der Kurfürstin bezeichnet wird, hat sich Therese Kunigunde, die Gemahlin Max Emanuels seit 1695, dort nie aufgehalten. Nachdem ihr Sohn Carl Albrecht 1722 in Schleißheim die Habsburgerin Maria Amalia geheiratet hatte, wurden die Kabinette nun für die junge Generation eingerichtet. Carl Albrecht, als Kurprinz der designierte Nachfolger des Vaters, erhielt den Nordflügel im Erdgeschoss als Gemach, seine Gattin den Kurfürstinnenflügel eine Etage darüber. Max Emanuel blieb weiterhin der komplette Südflügel vorbehalten.

Die Kammerkapelle war zuletzt bis 2014 fünf Jahre geschlossen, weil die Stuckdekoration der Decke und der Laterne gereinigt und konserviert wurden. Eine weitere Restaurierung der Decke steht noch aus. An den Scagliola-Tafeln ist bis heute keine Sanierung notwendig.