Zur Jagd in Schleißheim

 

Vor dem Schönen Stall kommt die Jagdgesellschaft kurz in schnellere Gangart, die Hundemeute, vielleicht zwei Dutzend Foxhounds, gerät in Bewegung. Vor dem Jagdschloss aber müssen Pferde und Hunde schon wieder gezügelt werden, hunderte Touristen bestaunen die Jagd und schießen ihre Fotos. In leichter Parade geht es weiter durch den Park, der Köder ist noch nicht in Bewegung gesetzt, die Hunde haben noch keine Witterung. Die wilde Jagd im vollen Tempo startet später.

 

Einmal im Jahr kehrt mit der historischen Jagd- und Kutschengala im Herbst die Jagd zurück nach Lustheim, das als ursprünglichste Lust die Jagdlust des Kurfürsten und seines Hofes bediente. Schon seit der Erschließung der unwirtlichen Gegend weit nördlich der Residenzstadt München durch Herzog Wilhelm für einen Landsitz diente Schleißheim dem Hof des Landesherren als Jagdrevier. Der Bau von Lustheim unter Kurfürst Max Emanuel setzte dieser Schleißheimer Epoche ein bauliches Denkmal. Die nächste Veranstaltung findet heuer am 03.09.2017 im Schlosspark Schleißheim statt.

 

Auch ohne die praktische Vorführung durch den „Schleppjagdverein von Bayern”, der seine Parforcejagd seit 1998 im Herbst im Schlosspark vorführt, ist in Lustheim das ganze Jahr über die barocke Jagd allgegenwärtig: auf eigens angefertigten Portraits der Jagdgesellschaften, im künstlerischen Bildprogramm des Schlösschens und zur Abrundung auch noch auf dem seit 1971 im Schloss Lustheim ausgestellten Meißener Porzellan der Sammlung Ernst Schneider.

 

Die Jagd gehörte im 17. Jahrhundert, der Entstehungszeit von Lustheim, nicht nur zu den privilegierten Rechten des Adels, sondern ebenso zu dessen Ausdrucksformen. Die Hohe Jagd auf Hirschen oder Wildschweine war dem Hohen Adel vorbehalten, also dem Fürstenhof, auch die Beizjagd mit Falken. Wie strikt abgestuft diese Jagdetikette war, zeigt etwa, dass der niedere Adel durchaus auch mit abgerichteten Vögeln jagen konnte – aber eben nur mit Bussarden. Daneben stand der Niederen Jagd noch Hasen, Füchse und ähnliches Kleinwild frei. So wie sich der Fürst im Krieg im Kampf gegen Feinde zu bewähren hatte, so hatte er auf der Jagd im Kampf gegen die Tierwelt siegreich zu bestehen. Die Selbstdarstellung als erfolgreicher Waidmann war freilich ungleich einfacher denn als siegreicher Kriegsherr; im Krieg gab es auch Unterlegene, während auf der Jagd der Sieger von vornherein feststand.

Bei der „deutschen Jagd“, wie sie bis Ende des 17. Jahrhunderts auch in Schleißheim üblich war, nahm die fürstliche Jagdgesellschaft auf einer Art Tribüne, dem sogenannten Jagdschirm, bequemen Platz, während in abmarkierten Gängen Hirsche vorbeigetrieben wurden, die dann in Reihe abgeschossen wurden. Bei großen Jagden wurden auf diese Weise bis zu 1000 Tiere erlegt. Dem natürlichen Aufkommen des Wildes wurde in Jagdgebieten mit eigener Zucht nachgeholfen, in Oberschleißheim erinnert etwa der Flurname „Hirschplan“ oder die ehemalige Fasanerie an der Straße nach Feldmoching an diese Schonungen.
Gleichermaßen wurde das Rotwild auch ins Wasser getrieben, bei Schleißheimer Jagdgesellschaften in den Riedweiher etwa auf halber Strecke zwischen Ober- und Unterschleißheim, wo es dann von stilisierten Bastionen aus abgeschossen wurde; ein Plaisier, das sich offenbar bevorzugt die Damen des Hofes gönnten. Eine durchaus robustere Jagdvariante war die Sauhatz, bei denen die Wildschweine zwar auch von Treibern auf den rechten Weg gebracht wurden, aber beim finalen Streich mit der Lanze vom Pferd aus für die Jäger durchaus beträchtliches Risiko bestand.

Kurfürst Ferdinand Maria, Enkel Herzog Wilhelms und Vater Max Emanuels, und seine Ehefrau Henriette Adelaide aus Savoyen sollen den Landsitz Schleißheim – der damals noch ausschließlich das Alte Schloss umfasste – und seine Jagdvergnügen geliebt haben. Die Geburt des lang ersehnten Thronfolgers Max Emanuel soll unter anderem mit einer Sauhatz in Schleißheim gefeiert worden sein. Weil die Kurfürstin auch leidenschaftlich gern mit ihrem Falken auf Hasen jagte, wurden westlich des Landsitzes Schleißheim, also im heutigen Park, vier Hasenhügel aufgeschüttet, ebenso auf dem Fürstenweg nach München – der Name Hasenbergl kommt daher.

 

Für die umliegenden Bauern war die fürstliche Jagdleidenschaft überwiegend eine Strafe. Nicht nur, dass sie als Untertanen der Hofmark Schleißheim ihre sogenannten Schwarwerksdienste gegenüber ihrem Herrn unentgeltlich als Treiber bei den Jagdvergnügungen leisten mussten; vor allem suchte das überhand nehmende Wild die Felder der Bauern heim und fraß dort ihre Feldfrüchte. In mehreren Streitfällen zwischen Kurfürst und Bauern stellte der Landesherr zumeist die Jagdinteressen über die Lebensgrundlagen seiner Untertanen und untersagte etwa, die Felder zum Schutz der Ernte einzuzäunen. Das Wild könnte beeinträchtigt werden.

 

Aktenkundig ist ein Streit von 1650, als sich die Feldmochinger Bauern gegenüber Kurfürst Maximilian auf einen Erlass von 1627 beriefen, als der Fürst in Kriegs- und Hungerszeiten zugestanden hatte, Felder gegen Wild einzuzäunen. Die kurfürstliche Kanzlei bestätigte den Bauern zunächst diese Zusage, verbot aber im gleichen Atemzug, das für die Einzäunung nötige Holz zu schlagen. Weil sich die Feldmochinger aber auf irgendwelchen – nicht aktenkundigen – Wegen mit Holz zu behelfen wussten, schwenkte der Kurfürst zwei Monate später um. Zwar sei die Einzäunung seit 23 Jahren erlaubt, aber da in all der Zeit „die Felder und Gründe zu Feldmoching niemalen verzäunt und eingemacht gewest“, müsse es „wegen unseres sonderbaren Lusts mit der Pirsch und Hatz“ quasi eine ungeschriebene Über-Verordnung gegeben haben, „sonsten die Untertanen solche Einzäunung, wann es ihnen erlaubt gewesen, nit würden unterlassen haben“. Die Umzäunung wurde also untersagt, das Wild konnte sich weiter frei bewegen.

Die Motive, aus denen Max Emanuel nach seiner Rückkehr aus der epochalen Schlacht um Wien gegen die Osmanen den Bau eines Jagdschlosses in der Nähe des Landsitzes Schleißheim in Auftrag gab, sind vielschichtig; neben einem gedanklichen Vorgriff auf eine ausgreifende Neugestaltung, die einer angestrebten Kaiserkrone der Dynastie angemessen sein würde, erfüllte das Schlösschen ganz praktisch und unmittelbar seinen Zweck als Jagdschloss ebenso wie als Morgengabe für die ins Visier genommene Vermählung mit einer Habsburger Kaisertochter. Der Name Lustheim bürgerte sich erst Anfang des 18. Jahrhunderts ein, wobei von der Jagd bis zum Ballspiel vielerlei Lüste die Namensgebung eher bestimmt haben als die Liebeslust, zumindest die offizielle des Fürstenpaares: die 1685 aus dynastischen Gründen geschlossene Ehe von Max Emanuel mit der Habsburgerin Maria Antonia soll sehr unglücklich gewesen seien, sie verstarb 23jährig.

Die Landschaft um Lustheim, bis auf das 1,3 Kilometer westlich gelegene Landschloss Schleißheim völlig unberührt, wurde waidgerecht gestaltet. Mit sternförmigen Alleepflanzungen, die in die umliegenden Wälder als Schneisen fortgesetzt wurden, entstand ein sogenannter „Jagdstern“. Im ideellen Sinne symbolisierte diese Anlage den Herrschaftsanspruch des absolutistischen Barockfürsten , der die Natur unter seinen Gestaltungswillen zwang; ganz praktisch bildete sie aber auch die Ausfallschneisen für die Ende des 17. Jahrunderts von Frankreich her in Mode kommende Parforcejagd, bei der zu Pferd ein ausgewählter Hirsch nach strengen Jagdregeln gehetzt wurde. Diese Schneisen und Sichtachsen bildeten auf Jahrhunderte die Gliederung der Landschaft weithin, sie sind trotz Unterbrechungen durch moderne Straßenführungen und Wohnbaugebiete auf Landkarten und Luftbildern weiterhin erkennbar.

 

 

Der praktische Nutzen von Lustheim als Jagdschloss ist gleichwohl nicht überzubewerten. So fehlten Funktionsräume, angefangen von einem ausreichendem Pferdestall. Der ab 1688 als nördlicher Pavillon und Pendant zur Renatuskapelle im südlichen Pavillon errichtete „Schöne Stall“ bot gerade Platz für 16 Pferde; Max Emanuel hinterließ bei seinem Tod 1400 Jagdpferde. Mit einer halbkreisförmigen Verbindung der beiden Pavillons ab 1695 sollten weitere Funktionsräume geschaffen werden. Das auf vielen zeitgenössischen Darstellungen Lustheims aus der Fantasie abgebildete Halbrund wurde freilich nie vollendet; ab 1750 wurden die errichteten Teile wieder abgerissen. In der Oberschleißheimer Ortschronik charakterisiert der Historiker Marcus Junkelmann, selbst in Lustheim aufgewachsen, das Schloss als „festliches Jagdschloss von mehr repräsentativem und symbolischem als von praktischem Charakter, in dem sich der junge Türkensieger von seinen Feldzügen standesgemäß erholen konnte“, ein Rahmen, „in dem sich der geschmackvolle Bauherr und kriegerische Jäger in lässig-festlicher Atmosphäre inszenieren konnte“.

Die Deckenfresken im Jagdschloss zeigen mythologische Motive aus dem Sagenkreis der römischen Jagdgöttin Diana. Angelehnt ist die Gestaltung an das Jagdschloss Venaria Reale bei Turin, der Heimat von Max Emanuels Mutter. Zwei Motive etwa, die in Savoyen wie in Lustheim identisch zu finden sind, gehören dem überlieferten Sagenkreis um Diana oder ihrer griechischen Version Artemis nicht an, was die Verwandtschaft der beiden Schlösser bezeugt. Kunsttechnisch sind die Lustheimer Fresken der erste große Zyklus von großflächiger Deckenmalerei nördlich der Alpen.

Als konkrete Ergänzung zu den mythologischen Göttersagen an der Decke hat Max Emanuel für den Großen Saal zeitgenössische Jagdszenen in Auftrag gegeben, nun mit ihm als realer Gestalt im Mittelpunkt, nicht in mythischer Symbolik. Als absolutes Unikat in Bayerns Schlösser ist im Lustheimer Festsaal das originale barocke Deskenfresko in Kombination mit den originalen Wandbildern erhalten und in dieser Kombination auch zu sehen.

Nach einer Jagd baute die Dienerschaft im Festsaal die Tafel auf, an der die Jagdgesellschaft dann mehrgängig speiste. Angrenzend liegen Privat- und Audienzräume von Kurfürst und Kurfürstin. Das Belvedere, eine Loggia über der Decke des Festsaals, könnte bei Regenwetter als Jagdsitz genutzt worden sein. Diener könnten dann Enten oder anderes Flugvieh in die Luft geworfen haben, die von den Jägern dann vom Belvedere aus abgeschossen wurden. Belegt ist diese Technik für Lustheim nicht, allerdings durch Analogien denkbar.

Weitere Illustrationen der höfischen Jagd sind dem Jagdschloss 1971 einverleibt worden – mit der Ausstellung der Porzellansammlung Ernst Schneider. Als zentrales Motiv auch am Dresdner Hof August des Starken hat auch das frühe Meißener Porzellan die Jagd verewigt. Die Ausstellung zeigt dabei bizarre Jagdszenen, wenn in der ersten Gestaltungsphase des europäischen Porzellans, die sich ausschließlich am fernöstlichen Vorbild orientiert, chinesische Jäger in europäischer Gestalt in chinesischer Fantasielandschaft europäisches Wild jagen.

 

Im ehemaligen Audienzzimmer der Kurfürstin sind Jagdmotive auf Meißener Porzellan zusammengestellt, die in einer etwas späteren Phase um 1740/50 nun auf die originalgetreue Abbildung heimischer Landschaften und Szenarien setzen. Hier geben erlesen feine Jagdminiaturen auf Porzellan, von der Teekanne bis zum Tabakdöschen, Motive aus Sachsen wieder, wie sie sich so auch in Lustheim selbst abgespielt haben könnten. Die um Untergeschoss versammelten Schaustücke von inszenierten Tierkämpfen, etwa „1 mit 3 Hunden kämpffender Stier oder Ochse, in grimmiger action vorgestellet“, hatten am bayerischen Hof keine Entsprechung, da derartige Schauspiele in München oder Schleißheim nicht üblich waren.