Ein Glaserl „Eremitentrost“: Schlossbrauerei und -brennerei

Der Schleißheimer „parmasankaas“ war seinerzeit weithin gerühmt, das Schleißheimer Bier mindestens bei den Kennern der näheren Umgebung gern getrunken. Ganz im Gegensatz zu den meisten Schlössern, die reine geschichtliche oder kulturhistorische Schaustücke sind, haben die Schleißheimer Schlossanlagen auch eine ganz handfeste, reiche kulinarische Tradition. Herzog Wilhelm V., der Bayernherrscher, der die Einöde mit ihren verstreuten Höfen im 16. Jahrhundert für die fürstliche Nutzung erschloss, ließ sich mit seinem Landsitz eine opulente Ökonomie erstellen, die quasi als herrschaftlicher Musterbetrieb alle Arten damals praktizierter Landwirtschaft und Viehhaltung darstellte. Und da nutzte eben in der Schwaige Schleißheim eine Käserei die Milch, eine Brauerei das Getreide und eine Brennerei das Obst. Und alle diese Traditionen leben!

Den längsten kontinuierlichen Betrieb weist dabei vielleicht die Schnapsbrennerei auf. Lückenlos ist die Branntweindestillation nicht nachweisbar, aber jedenfalls wurde bis in die 1990er Jahre im Schloss Schnaps hergestellt. Erst ein Brand in der damals rund 90 Jahre alten, vorsintflutlichen Brennerei ließ die Schnapsproduktion zunächst zum Erliegen kommen. Aber 2008 griff die Staatliche Schlösserverwaltung den Betrieb wieder auf und startete mit neuen Anlagen neu, so dass heuer das zehnte Jubiläum des Neubeginns gefeiert wird.

Die neue Anlage hatte der damalige Verwaltungsleiter Max Kirmeß noch durchgesetzt, ehe er 2007 in Ruhestand ging. In der Münchner Hauptverwaltung der Schlossanlagen sei dies „nicht nur positiv gesehen worden“, weiß der Stellvertretende Verwaltungsleiter Alexander Bauer, der 2007 nach Schleißheim kam, „Schnaps zu brennen ist ja keine ursächliche Aufgabe einer staatlichen Verwaltung“. Hier freilich sei dies eine Ideallösung, war und ist Bauer überzeugt, schließlich gehören zu den Schlossanlagen auch hunderte Obstbäume mit teils historischen und ansonsten nicht mehr gebräuchlichen Apfel- und Birnensorten – und die Destillation ist eine perfekte Verwertung für das Obst. In den staatlichen Schlössern Bayerns wird ansonsten nur noch in Herrenchiemsee Schnaps hergestellt.

So stieg Bauer mit Dienstantritt in Schleißheim auch als Brennmeister ein. „Überhaupt keine Ahnung hab ich gehabt“, erinnert er sich. Vom Hersteller der neu bestellten Destillerie gab es eine kurze Einweisung, „den Rest hab ich mir angelesen“. Dazu tat Bauer einen pensionierten Brennmeister auf, „der war in Notfällen mein Telefonjoker“. Und Bauers damaliger Stellvertreter in der Gartenverwaltung, Ralf Wolff, hatte zuvor schon mal eine Brennerei von innen gesehen.

Der erste Jahrgang des Schleißheimer Schnapses kam 2008 mit einem Alkoholgehalt von 42 Prozent in den Verkauf. Hatte die alte Brennerei in ihren letzten Jahren nur auf Mundpropagana Alkohol an Bekannte verkauft, wurde nun eine richtige Marke kreiert und ging mit eigenen Flaschen und Etiketten in Serie. Zur Premiere gab es eine 0,2-Liter-Flasche Zwetschgenschnaps „Blauer Kurfürst“ und eine 0,7-Liter-Flasche Obstbrand „Renatuswasser“. Der Name des „Blauen Kurfürsten“ spielt auf den gleichlautenden Kampfnamen von Schlosserbauer Max Emanuel an, den er sich dank seiner in blau gehaltenen Kampfmontur erworben hatte, im historischen Original zunächst „Blauer König“ – und im Kontext hochprozentigen Alkohols bedient der Name auch allfällige Assoziationen.

„Renatus“ ist der Heilige, dem Herzog Wilhelm eine Kapelle nahe seinem Landsitz widmete, die er von seinem Schlafzimmer aus sehen konnte: seine Ehefrau hieß Renata. Die Kapelle musste drei Generationen später dem Bau von Schloss Lustheim weichen, seither ist sie im südlichen Lustheimer Pavillon angesiedelt. Das Repertoire wurde bald um den Quittenlikör „Slius“ erweitert, benannt nach dem wahrscheinlichen Namensgeber einer Ortschaft „sliuusheim“, woraus sich die Ortsbezeichnung Schleißheim entwickelt hat.
Als vierte Sorte hat die Schlösserverwaltung den „Eremitentrost“ kreiert, einen reinen Apfelschnaps. Neben der Ökonomie hatte Wilhelm V. Schleißheim auch zur religiösen Einkehr anlegen lassen und dazu neun Kapellen auf einem Pilgerweg rund um das Schloss installiert. Zur Pflege und zum Vollzug der Gebete und Kirchendienste waren diesen Kirchen Klausen mit Eremiten zugeordnet. Das Sortiment rundet nun die „Barockliebelei“, ein Schlehenlikör – mit selbsterklärendem Namen. Alle Brände gibt es mittlerweile auch als „Kleine Schleißheimer“ in 0,02-Liter-Bügelverschlussfläschchen.

Der Startausstoß der neuen Brennerei lag damals bei 400 Flaschen Zwetschgenwasser und 150 Flaschen Obstbrand. In der Schlossbrennerei wird Bio-Schlossobst aus den historischen Obstbaumanlagen in Schleißheim und Dachau, Äpfel, Birnen, Zwetschgen, Quitten und Kornelkirschen, im Schnitt zu jährlich rund 10.000 Liter Maische vergoren. Im Brennkessel können pro Tag 450 Kilo Maische verarbeitet werden. Unmittelbar nach dem Brennen im 80 Grad heißen Brennkessel haben die Obst-Destillate einen Alkoholgehalt von rund 80 Prozent. Danach müssen die Brände noch ein paar Jahre im kühlen Schlosskeller im Eichenfass oder im Glasballon reifen, ehe sie auf eine Trinkstärke von 40 Prozent verschnitten werden.
„Die jungen Brände benötigen zum Ausreifen im kühlen Schlosskeller erst einmal vor allem Ruhe, Ruhe und nochmals Ruhe“, so Bauer. Nicht jede Sorte wird jedes Jahr gebrannt. Aber in den Kellern reifen noch ausreichend Edelbrände vergangener Ernten, so dass der Bestand auch schlechte Erntejahre wie 2017 überdauert.

Die Brennerei gehörte wahrscheinlich zur Erstausstattung der herzoglichen Schwaige anfangs des 17. Jahrhunderts. 1611, gut zehn Jahre nach dem Aufbau des Landsitzes, hat der Augsburger Kunstagent Philipp Hainhofer eine überaus detaillierte Beschreibung von Schleißheim angefertigt. Die Wirtschaftsgebäude erstreckten sich vom Herrenhaus nach Westen, was heute als Maximilians- und Wilhelmshof benannt und mit Wohnungen, Lagerflächen – und dem Tourismusbüro besetzt ist. Aber nicht dort, sondern im Schlosstrakt selbst, „vor den fürstlichen zimmern und fenstern auf der erden“, war nach Hainhofers Rundgang ein abgeschlossener Garten, „darbei ain laboratorium, brenn- oder distilierhauß, in welchem man auch gold gemacht hat“.

Gold „gemacht“ hat man dort definitiv nicht, gemeint sind wohl die alchemistischen Versuche, die seinerzeit an den meisten fürstlichen Höfen Europas angestrengt wurden. Die Alkoholbrennerei wurde damals eher bei diesen Experimenten angesiedelt denn bei der Nahrungsmittelproduktion. Zum einen wurde der Alkohol primär für medizinische Zwecke verwendet, an Schnäpsen wurden im wesentlichen Liköre konsumiert und die nur in sehr elitären Kreisen, was die benötigte Menge minimalisierte; zum anderen bedeutete die Destillerie bei den hohen Temperaturen und den nicht immer kontrollierbaren chemischen Reaktionen einen ähnlichen Risikofaktor wie die Alchemie.

Die bayerische Landbeschreibung von DSC 1036.jpga.jpgbMerian aus dem Jahre 1657 dann nennt Schleißheim „ein schöne Schwaig“ und zählt unter den Einzelheiten der Ausstattung auch auf „Gärten: Brenn- oder Distilierhauß und Laboratorium“, bis hin zur Wortwahl offenbar übernommen von Hainhofer. Weitere historische Zeugnisse sind spärlich, allerdings gibt es auch keine Anhaltspunkte, dass angesichts des anfallenden Obstes im Überfluss die Brennerei mal abgeschafft worden wäre. Aus der Zugehörigkeit zur Alchemie jedenfalls wurde sie der Schlossbrauerei angegliedert.

In einem Bericht über die „Bewirthschaftung des Staatsgutes Schleißheim“ von 1869 schreibt Hermann von Liebig über „technische Gewerke“ des Gutes, namentlich „eine Bierbrauerey, eine Brennerey und eine bedeutende Käserey“. In einer Jahresbilanz des Staatsgutsadministrators Max Schönleutner für 1819/20 wurden 124 Eimer Branntwein bilanziert, was etwa 7000 Litern entspräche. Schönleutner bezeichnet den anfallenden Branntwein als „Nebennutzung der Brauerei, außer den gewöhnlichen Abfällen“. 1844 wurde die Schnapsbrennerei sogar noch intensiviert, indem auch Kartoffeln destilliert wurden.

Heute hat die Schlossbrennerei die Brandrechte für 300 Liter reinen Alkohol. Im Jubiläumsjahr haben gleich vier Mitarbeiter der Schloss- und Gartenverwaltung die nötigen Fortbildungen absolviert, um im Brennteam mitwirken zu können. Sabine Behrens, Miroslav Boscovic, Jose Mora-Molina und Stefan Ströher betreuen nun mit Hofgartenbetriebsleiter Alexander Bauer die Brennerei. Die Hauptarbeit am Brennofen ist im Winter, für die Gartenverwaltung ansonsten die arbeitsärmere Zeit. Die Schnapsherstellung verschlingt auch kein Steuergeld, vielmehr steht unterm Strich „ein bescheidener Gewinn“, wie es Bauer beziffert.

Zum Jubiläum heuer haben Bauer und sein neues Team gleich mal einen neuartigen Geburtstagsbrand für den „Blauen Kurfürst“ Max Emanuel angesetzt. Der besteht aus Weintrauben vom Dachauer Schloss und soll nach extra langer Lagerung im Eichenholzfass zum 360. Geburtstag des Erbauers des Neuen Schlosses im Jahre 2022 genussreif sein. Die Schleissheimer Schlossbrände gibt es im Museumsladen im Neuen Schloss oder im Tourismusbüro.

Schleißheimer Bier hatte im 19. Jahrhundert seine große Zeit. Damals verfügte es im Wettbewerb mit den viel größeren und bedeutenderen Münchner Brauereien ebenso über einen bedeutenden Standortvorteil wie in Konkurrenz mit anderen Landbrauereien. Noch vor den Münchner Brauereien nutzte der Schleißheimer Betrieb die erste dampfbetriebene Kühlmaschine. Und ein eigenes Anschlussgleis zum Schleißheimer Bahnhof ermöglichte es, das Bier auch überregional zu vermarkten.

Aus dieser Zeit stammt auch der Name, der sich im Volksmund für das Schleissheimer Bier erhalten hat: der Remontebräu. Der von Herzog Wilhelm begründete Ökonomiebetrieb war über die Jahrhunderte als staatliches Gut in die Obhut der Landesverwaltung übergegangen. Mitte des 19. Jahrhunderts wurden die Ländereien auch für die Aufzucht und das Training von Militärpferden genutzt und damit zum Remonte-Depot nach dem französischen Fachausdruck Remonte für die jungen Miltärpferde. Die Verwaltung kam ans Königlich-Bayerische Kriegsministerium und damit auch die Zuständigkeit für die Brauerei. So wurde die Schleißheimer Brauerei die wohl einzige bayerische Braustätte unter militärischer Verwaltung, alte Akten über den Betrieb finden sich im geheimen Kriegsarchiv. Die Brauerei firmierte nun als „Kgl. Remonte-Depot-Brauerei Schleißheim“.

1611 hatte Hainhofer auch die Braustätte erstmals dokumentiert. Im Wirtschaftshof gebe es ein „brewhauß“ und „vir bierkeller, inn welche man von oben herab durch schlauch das bier hinunder inn die kueffen und fässer laitet“. Das Getränk diente zur Verköstigung der Bediensteten in der herzoglichen Schwaige und es wurde auch verkauft, „sonderlich an die tagwerckher, schnitter und Mader inn erndts Zeiten“, an die Taglöhner bei der Erntearbeit.

Im 18. Jahrhundert muss die Bierproduktion zum Erliegen gekommen sein, denn belegt sind Proteste der Münchner Brauereien gegen die Pläne von Kurfürst Karl Theodor, zu Anfang des 19. Jahrhunderts die Brauerei im Staatsgut Schleißheim wieder zu beleben. In der zitierten Bilanzabrechnung des Königlich Bayerischen Staatsgutes Schleißheim von 1819/20 wurden 5170 Eimer Winter- und 4570 Eimer Sommerbier registriert. Die Brauerei war unter den einzelnen Ressorts des Staatsgutes der ertragsreichste Zweig. In seinem Jahresbericht vermerkte Administrator Schönleutner, dass die Schleißheimer Brauerei, weil „die Gegend zu entvölkert, und zu arm ist, gezwungen ist, das Bier selbst bis in die Hauptstadt abzusetzen“. Das gelinge aber „nur durch vorzügliche Güte“.

Das Bier wurde in Kellern in Hochmutting gelagert und mit Eis von den Schlosskanälen kühl gehalten. Spezialität soll ein „Wilhelmsbock“ gewesen sein, ein hochprozentiges Bockbier, benannt nach dem einstigen Gründer der Ökonomie und damit der Brauerei.

Obwohl das „Remontebräu“ nach der spärlichen Kenntnis damaliger Akten seinen Ertrag abgeworfen haben soll, rang sich das Kriegsministerium eingangs des 20. Jahrhunderts nicht mehr zu unumgänglichen Investitionen in die Braustätte durch. Die Brauerei im Südflügel des heutigen Wilhelmshofes wurde an die Münchner Hacker-Brauerei verpachtet, die nur den Kundenstamm, Lagerräume und Vertriebswege nutzte, den Betrieb aber sofort stilllegte. Die historischen Brauanlagen stehen nun seit den über hundert Jahren im Wilhelmshof des Alten Schlosses, wie sie Hacker verlassen hatte.

Jetzt hat sich eine „Brauereigenossenschaft Remontebräu Schleißheim eG“ gegründet, die an die vor 106 Jahren abgerissene Brautradition anknüpfen will. Langfristiges Ziel ist „eine eigene Braustätte mit Sudhaus in Alt-Schleißheim oder gar die Rückkehr ins historische Bräuhaus im Wilhelmshof“, schilderte bei der Gründungsversammlung Genossenschaftsvorstand Andreas Preißer. Aber Bier soll es auch vorher schon geben, zunächst in Auftragsarbeit nach alten Braurezepten der einstigen Remontebrauerei bei der Genossenschaftsbrauerei Gut Forsting im Landkreis Ebersberg.

Noch heuer soll bernsteinfarbenes Kellerbier als Schleißheimer Bier verkauft werden. „Die junge Brauerei hat sich auch der Förderung der Tradition, Geselligkeit, Qualität und natürlich dem Genuss verschrieben“, heißt es in der Genossenschaftsmitteilung. Den Aufsichtsrat bilden Alexander Bauer, Alexander Fichtl, der Oberschleißheimer Bürgermeister Christian Kuchlbauer, Stephan Sedlmayer sowie Ronny Sonnekalb, Filialleiter der „Münchner Bank“ in Oberschleißheim. Diese bestellten als Vorstände Andreas Preißer für Organisation, Thomas Haselbeck für Produktion und Sandra Kunstwadl für Marketing und Vertrieb. Infos zur Beteiligung gibt es unter info@remonte-bräu.de.

Der Schleißheimer „keeß auf parmasan Art“ schließlich war im 17. und 18. Jahrhundert weithin gerühmt. Ein Reisender in Diensten des Bamberger Fürstbischofs meldete 1737, dass man in Schleißheim „alda den parmison keeß so köstbahr macht als mann nicht besser wird bekommen können“. Als nötige Infrastruktur dazu listete Phlipp Hainhofer in seinem grundlegenden Bericht „zwei keesgewölber, milchgewölb“ auf. Dort seien „keeß auf parmasan art, auf schweizer art und schaafkees“ hergestellt worden.

Den „Schleißheimer Kaas“ vertreibt der Tourismusverein nun wieder im Tourismusbüro und im Hotel „Blauer Karpfen“, die Geschichte dazu steht im „Schleißheimer Herbst“ von 2017.