Wie die Olympischen Spiele von 1972 München verändert und geprägt haben, ist ein bedeutendes Kapitel in der Chronik der „Weltstadt mit Herz“. Aber auch in Schleißheim haben die „heiteren Spiele“ ihre herausragenden Spuren in Historie und Geografie hinterlassen.Wie Jahrhunderte zuvor mit dem Bau der Schlösser wurde mit der Anlage der olympischen Regattastrecke die Landschaft radikal umgeformt und eine völlig neue Geschichte ohne Herleitung aus dem Nichts geschaffen. Aktuell aber steht das olympische Erbe in Schleißheim vor einer ungewissen Zukunft.
Als München vor 50 Jahren, am 26. April 1966 in Rom den Zuschlag für die Ausrichtung der Sommerspiele der 20. Olympiade der Neuzeit erhielt, war Schleißheim noch nicht auf dem olympischen Radar. In der im Vergleich zu heutigen Verhältnissen fast spontan improvisierten Bewerbung Münchens waren die Ruder- und Kanuwettbewerbe in einer neu zu erbauenden Anlage in einer Moorlandschaft bei Königsdorf im Tölzer Land vorgesehen gewesen.
Die nahenden Spiele sahen unter anderem die Ruderer aus München und seinem Umland als Chance, ihre vorwiegend am Starnberger See beheimatete Sportart auf eine völllig neue Basis zu heben. Ein „Münchener Regatta-Verband“ gründete sich, der mit dem Bau einer olympischen Strecke die Zukunftsvision verband, die Anlage nach den Spielen als modernes Ruderzentrum zu nutzen. Aus diesem Umfeld erwuchs auch die Initiative, die olympische Anlage im Sinne einer „Olympiade der kurzen Wege“, aber auch für die Folgenutzung als Sportzentrum vom abgelegenen Bad Tölz unmittelbar an die Stadtgrenzen zu holen: am 18. April 1969 schwenkte das Organisationskommitee um und siedelte die olympische Regattastrecke im Dachauer Moos an, zwischen Feldmoching und Badersfeld. Vorausgegangen sein soll eine lange Nacht, in der Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel die Grundstücksfragen mit den betroffenen Landwirten geklärt haben soll.
Die Planer erkannten auch Synergieeffekte, denn parallel plante der Staat eine neue Autobahn von München in Richtung Niederbayern, deren geplante Trassierung ab der Hauptstadt quasi eine passgenaue Zufahrt zur künftigen Regattastrecke bilden würde – ein Argument, dem Königsdorf nichts entgegenzusetzen hatte. In heute schwer vorstellbarer Rasanz wurde im Juni bei einem Architektenwettbewerb unter 14 Teilnehmern die Architekten- und Ingenieurgemeinschaft Eberl und Partner aus München als Planer ausgewählt und Georg Penker als Landschaftsarchitekt und parallel auch gleich der Tiefbauauftrag vergeben. Ab dem 1. September 1969 wurde im Dachauer Moos gegraben.
Der Aushub wurde großteils zum Autobahnbau verwendet. 2,8 Millionen Kubikmeter Erde sollen bewegt worden sein. Der Regattatrog ist 2230 Meter lang, 140 Meter breit und 3,5 Meter tief. Zwischen dem Start auf Feldmochinger Gemarkung und dem Ziel auf Oberschleißheimer Gemeindeflur mussten fünf Meter Höhendifferenz nivelliert werden. Mit der Achslage parallel zur Hauptwindrichtung von Südwesten nach Nordosten sollte dieser Störfaktor für den optimalen Sportbetrieb eliminiert werden. Mit 31 Hektar Wasserfläche ist alleine der Regattatrog nicht unwesentlich kleiner als der Schlosspark, der inclusive der Gartenanlagen jenseits des Kanals etwa 55 Hektar misst. Die gesamte Regattaanlage umfasst 85 Hektar. Der Mittelkanal vom Schloss Lustheim zum Fontänenbecken ist 750 Meter lang, also ein Drittel der Regattastrecke.
Diese Vergleichsbezüge sind dabei nicht rein theoretisch und mathematisch: speziell in der Landschaftsgestaltung hat sich Penkers Büro an den gradlinigen Vorgaben orientiert, die durch die barocke Kanallandschaft vom Schloss ausgehend in das Moos modelliert worden waren. Im Gegensatz zum Münchner Oberwiesenfeld, wo mit dem Zeltdach als markantem Höhepunkt Olympia-Architektur gesetzt werden sollte, lag Eberls Augenmerk darauf, die baulichen Anlagen der Ruderstrecke möglichst in der Landschaft aufgehen zu lassen. So wurde auch Holz der zentrale Werkstoff. Die Freiflächen wurden mit gradlinigen Hecken gegliedert und gestaltet.
Die gigantischen Parkplätze für 2400 Autos wurden nicht asphaltiert, sondern mit historischen Pflastersteinen ausgelegt, die beim parallelen Modernisierungsschub der Münchner Innenstadt dort ausgehoben worden waren, zwischen den Ritzen wächst wilder Thymian. Auf der über 200 Meter langen Tribünenanlage entstanden 9000 Sitz- und 16.000 Stehplätze, rückwärtig darunter gab es Kioske, Presse- und Fernsehräume, eine Ausstellung über Sportruderboote und -kanus und sogar ein kleines Postamt. 1973 erhielt Michael Eberl für die Regattaanlage den Preis des Bundes Deutscher Architekten.
Eine Deutsche Meisterschaft im Juni 1971 war der Test für die Anlage, ehe am 27. August 1972 mit den Vorläufen der Ruderer die olympischen Wettkämpfe begannen. Bei sieben Entscheidungen im Rudern bis zum 2. September holten die Athleten der DDR drei Siege und sieben Medaillen, die der UdSSR zwei Siege – wie, will man heute eher nicht mehr wissen. Das einzige Gold für die Bundesrepublik Deutschland errang der Vierer mit Steuermann, unter anderem mit Johann Färber, der später zehn Jahre lang die Regattastrecke leitete. Die Kanuten starteten am 6. September. Auch hier gab es bis 9. September sieben Entscheidungen mit sechs Goldmedaillen für die UdSSR, der Gastgeber holte eine Bronzemedaille.
Nach dem Ende der Spiele ging die Anlage, die 65 Millionen D-Mark gekostet hatte, in den Besitz der Stadt München über, die sie über ihre Olympiapark GmbH verwalten lässt. Gemeinsam mit Stadt und Land begründete das Bundesinnenministerium dann ein Bundesleistungszentrum für Rudern und Kanu. Die Rudergemeinschaft München (RGM), die sich mit dem Bau der Anlage gegründet hatte, agierte nicht nur als Sportverein mit internationalen Erfolgen, sondern organisierte nun immer wieder Regatten und Wettkämpfe mit der Weltmeisterschaft 1981 als absolutem Höhepunkt. „Vom Meldewesen über das Quartiermanagement, von der Beschaffung und Verwaltung des Fuhrparks, von der Organisation der Starthelfer und der Organisation des ‚Bayerischen Abends‘, vom Streckensprecher über den Wiegemeister bis hin zur Endreinigung des kompletten Außengeländes wurden alle nur erdenklichen Aufgaben von vielen fleissigen Vereinsmitgliedern ehrenamtlich abgedeckt“, heisst es in der Vereinschronik dazu.
1994 gründete sich der Olympia-Regattaverein München, der nunmehr die Ausrichtung der Veranstaltungen übernahm. Nach seiner Insolvenz 2013 ist nun der Verein „Regatta München“ der Organisator der Wettkämpfe. Ausgerichtet wurden in Oberschleißheim zahllose Deutsche und Internationale Meisterschaften, Weltcuprennen seit 1997 über Jahre regelmäßig, die Junioren-WM 1994 und eine weitere Weltmeisterschaft 2007 mit über 60.000 Besuchern.
1973 wurde ein Streifen des Regattabeckens auch für den öffentlichen Badebetrieb freigegeben und das eröffnete ein weites Feld an breitensportlicher Nutzung und Events jenseits des ureigenen Widmungszwecks. Für Inlineskater sind die Wege um das Becken ein beliebter Parcour, Triathlon-Wettkämpfe gibt es ebenso wie Drachenboot-Regatten, über dem Wasserbecken lässt sich Bungee-Springen, immer wieder gibt es Firmenevents und einmal stieg ein Rekordversuch im weltgrößten Tigerenten-Rennen. Auf der weitläufigen Anlage hat sich 1996 eine Tennis-Akademie mit zwei Hallen, Freiplätzen und einem Internat zur Nachwuchsausbildung angesiedelt, kurzzeitig bestand ab 2002 ein Hochseilgarten. Jetzt beherbergt die Regattastrecke am Südende des Tribünenhauses das „Munich Beach Resort“, München größten Sandstrand (s. S. xx), und im Bereich der Bootshallen können bei „jumicar“ Kids in Bobbycars und kleinen Batterieautos über Mini-Rennstrecken und Verkehrsparcours flitzen (s. S. xx).
Vor allem aber herrscht intensiver Trainings- und Rennbetrieb von Ruderern und Kanuten. Die RGM hat hier ebenso ihr Domizil wie der Schleißheimer Ruderclub oder die Kanuten des Schleißheimer Paddelclubs. Auch der Münchner Hochschulsport bietet hier Rudern an. Alleine bei der RGM sind neben vielen Freizeitsportlern über 60 Athleten im Wettkampfbetrieb. Aktuell hat der Verein dreimal in Serie bei den Landesmeisterschaften den „Bayerischen Löwen“ als beste Vereinsmannschaft an die Regattastrecke geholt.
Doch über dem Enthusiasmus der Ruderer und Kanuten auf der Anlage und dem Gefallen der Freizeitsportler an Bade- und Inline-Optionen schwebt die offene Frage, wie es mit der Regattastrecke weitergehen soll. Jährlich verschlingt die Anlage rund eine halbe Million Euro alleine an Betriebskosten, dazu ist wegen der ungewissen Zukunft seit Jahren ein gewaltiger Investitions- und Renovierungsstau aufgelaufen. Das Schullandheim etwa, im Tribünenbereich angesiedelt, das wegen seiner Lage und der Freizeitoptionen für seine 35 Plätze jährlich 2000 Belegungen verzeichnet hatte, kann seit geraumer Zeit nicht mehr gebucht werden, weil die Brandschutzvorrichtungen nicht modernisiert wurden. Bis 2007 wurde schon ein Teil der Tribüne und des Zeitnahmeturms abgebrochen, weil sie baufällig waren.
Bund und Land haben sich längst aus der Finanzierung zurückgezogen, weil die Fachverbände die Anlage nicht mehr in dem leistungssportlichen Sinne nutzen, der staatliche Förderung generieren würde. Die Zukunft der Anlage obliegt nun ausschließlich der Stadt München – und dort fehlen klare Visionen dazu. Zuletzt hat der Stadtrat im Dezember 2015 zwar den Grundsatzbeschluss verabschiedet, die olympische Strecke zu erhalten – aber parallel dem Sportamt des Rathauses den Arbeitsauftrag für zwei Minimalkonzepte erteilt, die eben diesen Erhalt in Frage stellen könnten. Mit den darin grundgelegten Reduktionen am Unterhalt könnten Regatten künftig nicht mehr stattfinden, die preisgekrönte olympische Anlage mit ihren weltweit geschätzten Wettkampfbedingungen würde zum besseren Badeweiher abggestuft.
Vereine und Fachverbände engagieren sich nun für überzeugende Argumente. 2013 haben die Präsidenten der Bayerischen und Deutschen Verbände Kanu, Rudern und Behindertensport eine Absichtserklärung zur Gründung eines gemeinsamen Paralympischen Trainingsstützpunktes „Para-Rowing/Paracanoeing“ auf der Regattastrecke unterzeichnet, eine einzigartige Kooperation, bei der als Beitrag Münchens erwartet wurde, dass die Anlage im erforderlichen Umfang saniert werde, einem Paralympischen Trainingsstützpunkt entsprechend. Allerdings füllt sich diese Kooperation nur zögerlich mit Leben.
Eine Arbeitsgemeinschaft örtlicher Architekten um die Bauingenieure Christine und Casimir Katz und die Architektin Anke Schuster haben vorgeschlagen, in die Tribünenanlage ein Hotel mit Tagungsräumen und Übernachtungsmöglichkeiten für Sportler zu integrieren. Aus den 17 gleichmäßigen Abschnitten der Konstruktion sollten nach ihrer Vision vier für eine Zuschauertribüne erhalten bleiben, ein paar Abschnitte sollten für Indooraktivitäten nutzbar werden, etwa eine Kletterhalle oder eine Beachvolleyballhalle, und in den Rest ein Hotel plus Boardinghaus eingebaut. Die „Seeterrasse“ vor dem Hotel könnte mindestens auf einer Ebene für Gastronomie genutzt werden.
Weiterhin finden auf der Strecke große Ruderregatten jährlich statt, Meisterschaften im Kanurennsport und herausragende Events wie aktuell ein „Kanu- und OutdoorTestival“ (s. S. xx). 2017 sind sc hon die Deutschen Jugendmeisterschaften U23, U19, U17 des Deutsches Ruderverbandes gebucht. „Internationale Ruderer warten geradezu darauf, dass auf einer renovierten Strecke wieder internationale Wettkämpfe stattfinden können“, versichert Oliver Bettzieche, der Vorsitzende von „Regatta München“.
Aktuell soll mit einer Petition, die auf openpetition.de zu erreichen ist, die Stadt zu einem klaren Bekenntnis und der Freistaat zu einem Wiedereinstieg in die Trägerschaft aufgerufen werden. „Überall auf der Welt kennen und schätzen Sportler die Anlage wegen ihrer idealen, fairen Bedingungen“, heisst es in dem Aufruf, „Münchener und Besucher aus dem Umland schätzen das einzigartige Flair, das die Anlage mit den Ruderern und Kanuten auf der Strecke inmitten der wunderbaren Landschaft vermittelt. Rennradfahrer und Triathleten, Inline-Skater und andere Bewegungsfanatiker trainieren hier im Einklang neben den Kernsportarten“. München und Bayern sollten sich, so fordern die Unterzeichner, „eindeutig zu dieser Anlage bekennen und Taten folgen lassen, indem sie ein sinnvolles und modernes Sanierungskonzept beschließen, das den Charakter der Anlage als Regattastrecke ausreichend berücksichtigt“.
Schon jetzt wird aus dem Münchner Sportamt signalisiert, dass eine erneute Beratung im Stadtrat 2016 nicht mehr auf der Agenda stehen werde. Aus der Verwaltung der Anlage hat sich Leiter Veit Hesse jüngst verabschiedet, sein Posten ist noch vakant.