Van Dyck: Von Schleißheim in die Pinakothek

Als Peter Paul Rubens im Auftrag des bayerischen Herzogs Maximilian um 1616 die weltberühmten Jagdmotive – darunter die „Löwenjagd“ – für Maximilians Landvilla in Schleißheim schuf, war wohl in Rubens‘ Werkstätte das junge Malertalent Anthonis van Dyck an der Gestaltung beteiligt. Van Dyck emanzipierte sich bald von seinem Meister und wurde selbst einer der ganz Großen der flämischen Malerei.
Als dann Ende des 17. Jahrhunderts Kurfürst Max Emanuel, Maximilians Enkel, eine exzessive Sammlertätigkeit entfaltete, gehörte es schon zum guten Ton, Van Dycks zu besitzen. 51 Bilder unter dessen Namen erwarb Max Emanuel – die meisten davon bestimmt für die Große Galerie im neuen Repräsentationsschloss Schleißheim. Aus der spektakulären Sonderschau zum Werk des Flamen gerade in der Alten Pinakothek in München mit über 100 Exponaten hingen die meisten Originale Van Dycks einst in Schleißheim.

Ihren exorbitanten Van-Dyck-Fundus verdanken die bayerischen Staatsgalerien einer regelrechten Sammelrivalität zwischen Max Emanuel und seinem Wittelsbachischen Vetter Johann Wilhelm von Pfalz-Neuburg, der mit seiner Kunstsammlung unter anderem das seinerzeit zu seinem Herrschaftsbereich gehörende Düsseldorf ausstattete. 51 Van Dycks erwarb Max Emanuel, 30 gehörten Johann Wilhelm, heute der komplette Bestand in bayerischem Staatsbesitz.

Im Vorfeld der Ausstellung hat die Pinakothek allerdings in einem mehrjährigen Forschungsprojekt zu Van Dyck ihre Bestände gesichtet und mit modernsten Analysemethoden unter anderem auf ihre Entstehungsgeschichte untersucht. Jetzt werden nur noch 24 Werke der ureigenen Autorenschaft Van Dycks zugeschrieben, ein Großteil seiner Werkstatt.

Grundstock der Van-Dyck-Sammlung Max Emanuels war dabei eine gigantische Transaktion, bei der er 1698 von dem Antwerpener Kaufmann Gisbert van Colen ein Paket mit 101 Gemälden vorwiegend flämischer Meister erwarb, darunter 15 Meisterwerke von Anthonis Van Dyck und 12 von Rubens. Restschulden der 90.000 brabantischen Gulden, die das Van-Colen-Konvolut kostete, mussten 65 Jahre später noch die Enkel des Händlers beim Kurfürsten Max III. Joseph anmahnen…

Die Prunkstücke der Van-Dyck-Sammlung ließ Max Emanuel ab 1722 im noch unfertigen Schloss Schleißheim aufhängen. Die prominenten Werke wurden nach heutigen Rekonstruktionen an den Knotenpunkten des höfischen Zeremoniells präsentiert und hingen in der Gemäldegalerie, in den für die repräsentativen Aufgaben wichtigen Vorzimmern und Schlafzimmern des Kurfürstenpaares sowie in den Bilderkabinetten des Prunkappartements des Kurfürsten.

In ihrer Analyse im Ausstellungskatalog bescheinigt Julia Thoma aus der Pinakothek dem Schlossherrn dabei großes Kunstverständnis. Die Hauptwerke Van Dycks seien dort mit korrespondierenden Arbeiten von Rubens und Tizians gehängt worden, den beiden Haupteinflüssen Van Dycks, um so dessen Beeinflussung und individuelle Weiterentwicklung nachvollziehen zu können.

In der Schleißheimer Großen Galerie wurden vorwiegend Porträts aus Van Dycks – echter oder damals vermeintlicher – Autorenschaft gezeigt, um das damals höchste populäre Genre zu würdigen, das eben durch Van Dycks Interpretation auf neue Stufen der künstlerischen Wertigkeit gehoben worden war. 

Dass in Max Emanuels Gestaltung der Großen Galerie die Rubrik vor den Inhalten ging, erschließt sich schon daraus, dass in den ersten Inventarlisten kaum einer der Porträtierten korrekt identifiziert ist: wichtig waren nur die Köpfe, nicht, wenn sie darstellten.
Ein Van-Dyck-Porträt wurde in Schleißheim laut Inventar von 1748 als „eine Frau mit einem Kind“ in der Großen Galerie gehängt. 1765, als Van Colens Enkel ihre unbezahlten Rechnungen eingebracht hatten, wurde wohl aus der Kenntnis dieser Transaktionen die Porträtierte als „des Malers Theodor Rombouts Eheweib mit ihrer daneben stehenden Tochter“ identifiziert.
Der Übertrag im Archiv 1775 klappte dann nicht so reibungslos; nun zeigte das Bild plötzlich „die Ehegattin des Malers Van Dyck“ und ihre Tochter. Aktuell führen die Staatsgemäldesammlungen das Werk mit der Inventarnummer 599 als „Anna van Thielen mit ihrer Tochter Anna Maria Rombouts“… Auch „Die Gambenspielerin“, modern identifiziert als Margaret Lemon wurde in Schleißheim 1775 als „Bildniß der Ehegattin des Malers van Dyck, mit einer Baßgeige in der Hand“ geführt.
Motive jenseits der Porträts hingen an anderen exponierten Plätzen im Schloss, ein Bildnis der Heiligen Familie etwa an der Südwand des Kurfürstlichen Prunkschlafzimmers, einem der herausgehobensten Orte des höfischen Zeremoniells.
Mit dem Bedeutungsverlust Schleißheims nach Max Emanuels Tod und mit der Einrichtung der großen Münchner Kunstgalerien wurden die bedeutendsten Werke aus Schleißheim entfernt. Von der aktuellen Ausstattung des Schlosses hat die „Erbin“ Pinakothek für ihre Sonderausstellung gerade noch drei Werke angefordert, drei Porträts: „Der Kupferstecher Karel van Mallery“, der Van Dycks Werkstatt zugeschrieben wird, „Königin Henrietta Maria von England“, jetzt identifiziert als Kopie nach Vorlage Van Dycks und ein Originalwerk „Bildnis eines Mannes“.

Das Original des „Kupferstechers“ hängt im Nationalmuseum in Oslo. Die Münchner Version gilt als Werkstattkopie, die nahezu zeitgleich entstanden sein könnte. Bei einer Untersuchung des Schleißheimer Bildes fiel auf, dass die Leinwand heute anders auf den Keilrahmen gespannt ist als früher, was am Stoff erkennbar war. Die dargestellte Figur bildete in der neuen Fixierung exakt die Mittelachse, wodurch das Werk „schwach und spannungslos“ gewirkt habe, so Ausstellungskuratorin Mirjam Neumeister. Die Wiederherstellung der ursprünglichen Positionierung auf dem Rahmen außerhalb der Bildachse vermittle nun wieder „die für Van Dycks Porträts charakteristische Lebendigkeit“.

Was die akribische Analyse eines Bildes zutage fördern kann, zeigt am Beispiel des Schleißheimer „Bildnis eines Mannes“ der Werkstattbericht von Neumeister in aller Ausführlichkeit und Detailschärfe: „Für das Gemälde wurde eine Leinwand in Fischgrätbindung mit blauem Streifenmuster gewählt. Bereits mit bloßem Auge ist zu erkennen, dass der Bereich der Beine überarbeitet wurde.

 

Im Infrarotreflektogramm sind die Veränderungen deutlich zu sehen: Ursprünglich stand der Mann etwas weiter links, mit annähernd parallel gestellten Füßen. Im Röntgenbild werden noch weitere Überarbeitungen sichtbar: Oberhalb seines linken Beines befand sich ursprünglich die linke Hand des Mannes, umgeben von einer Spitzenmanschette, deren gewellter Rand sich markant abzeichnet.

Später wurde die Position der Hand dahingehend verändert, dass sie nun etwas unmotiviert in Brusthöhe geführt und im Gewand verborgen ist. Dafür musste der Umhang an der linken Seite des Mannes vergrößert werden, um die Verkürzung des Armes zu kaschieren und die Haltung glaubhaft zu machen. Möglicherweise wurde der Stoff, sozusagen als Gegengewicht, auch auf seiner rechten Seite ergänzt.

 

Im Röntgenbild markiert sich an dieser Stelle kein Mantel, aber das Infrarotreflektogramm macht die Veränderungen sichtbar: Auf Höhe seiner rechten Schulter wurde der Stoff des Umhangs reduziert, entlang der Kontur des Armes jedoch verbreitert und bis auf Kniehöhe verlängert. Das ursprünglich an dieser Stelle vorhandene Bein wurde verworfen und der Bereich übermalt.“

Portrait auf Wiedervorlage. Wen der namenlose Mann darstellt, konnte auch mit der modernen Analytik nicht ermittelt werden. Aufgrund der aufgedeckten Überarbeitungen vermuten die Experten, dass das Porträt unvollendet zur Seite gelegt worden sein könnte, als erst der Körper gemalt war; vielleicht verstarb der Auftraggeber.

 

Bei einem späterem Porträtauftrag könnte es dann wieder verwendet worden sein, weshalb mit den Überarbeitungen die Mode an den neueren Chic angepasst wurde. Und das Gesicht des neuen Auftragsgebers könnte einfach abschließend eingefügt worden sein…

 

Ausgerechnet dieses Bild, das heute in Schleißheim hängt, war übrigens nicht von Max Emanuel für Schleißheim erworben worden, sondern von Johann Wilhelm für Düsseldorf.

Die Sonderausstellung in der Alten Pinakothek in München ist noch bis 2. Februar zu sehen, danach hängen die drei Werke wieder in Schloss Schleißheim, zusammen mit rund 200 Gemälden des 17. und 18. Jahrhunderts.